Palliativmedizin & Patientenverfügung: Wege zu lebenswertem Sterben

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Wie unheilbar Kranke zu sterben wünschen und wie sie ihr Leben tatsächlich aushauchen, das weicht oft erheblich voneinander ab. Die Kluft zwischen Ideal und Realität schließen hilft einerseits die Patientenverfügung, die unwillkommene lebensverlängernde Maßnahmen verhindert. Andererseits die einer menschenwürdigen Sterbebegleitung verpflichtete Palliativmedizin.

Gesund alt zu werden und wenn es so weit ist, im Kreise seiner Familie sanft zu entschlummern ist längst nicht allen Menschen vergönnt, auch wenn sich das die meisten wünschen. Vor allem in fortgeschrittenem Alter sehen sich viele mit unheilbaren Krankheiten konfrontiert. Leiden und Sterben gehört nun einmal zum Leben. Entscheidend ist aber, wie das geschieht. Menschen mit einer tödlich verlaufenden Krankheit bedürfen nämlich einer besonderen Fürsorge, die “normale“ Spitäler oft (noch?) nicht zu leisten vermögen.

Ein menschenwürdiges Sterben verspricht die sogenannte Palliativmedizin (lat.: pallium = Mantel) wie sie z.B. Hospize bieten. Oder besser gesagt Palliative Care, also Palliativ-Betreuung, denn es erfolgt ja nicht nur eine ärztliche Versorgung. Sie steht dann auf dem Plan, wenn kurative (lat.: curare = heilen), d.h. auf Heilung ausgerichtete Maßnahmen nicht mehr fruchten. Ziel dieses jungen Zweiges der Heilkunde ist es, Todkranken auch in der letzten Lebensphase so viel Lebensqualität und Selbstbestimmung wie nur möglich zu gewährleisten.

Die Angst vor einem qualvollen Dahinsiechen, ohne darauf groß Einfluss nehmen zu können, veranlasst immer mehr Menschen dazu, auch selbst Vorsorge zu treffen, dass bestimmte lebensverlängernde Maßnahmen nicht gesetzt werden, wenn im Krankheitsfall keine Aussicht auf ein menschenwürdiges Dasein mehr besteht, wobei diesbezügliche Bewertungen individuell verschieden ausfallen. Zu diesem Zweck gibt es die Möglichkeit, in einer Patientenverfügung – für den/die Behandler entweder bindend oder zu beachtend – festzuhalten, welche medizinischen Maßnahmen ihr Verfasser ablehnt und deshalb zu unterlassen sind.

Palliativmedizin: das Leben human ausklingen lassen

Wenn sich das Leben Todkranker seinem Ende zuneigt, ist das häufig mit Schmerzen, Funktionseinbußen oder Behinderungen verbunden. Dann sind vielerlei Hilfestellungen medizinischer und pflegerischer Natur vonnöten, die Ärzte, Pflegepersonal und medizinische Dienste (z.B. Physiotherapeuten) erbringen. Doch unheilbar krank zu sein besitzt mehr Komponenten als nur somatische Beschwerden. Sterbenskranke sind auch seelisch in einer Ausnahmesituation. Fragen nach dem Sinn des Lebens und der eigenen Bedeutung stellen sich angesichts des unausweichlich bevorstehenden Endes. Angst vor Einsamkeit und Isolierung kommt auf. Auch die Angehörigen bleiben von dem kommenden Ereignis des endgültigen Abschieds nicht unberührt.

Hier setzt die Palliativmedizin an, indem sie den sterbenden Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht seine Krankheit, d.h. ihn ganzheitlich betreut. In körperlicher Hinsicht bedeutet das – da eine Beeinflussung der Grunderkrankung (z.B. Tumorleiden) bzw. Genesung nicht möglich ist – die Linderung unangenehmer Symptome (am häufigsten: Atemprobleme, Schmerzen, Agitiertheit = fahrige und angespannte Rastlosigkeit), also etwa eine adäquate Schmerzbekämpfung. Und zwar nach individuellen Gesichtspunkten. Jeder Patient soll die ihm angemessene Behandlung erhalten. Auf belastende und unnütze Therapien wird verzichtet, wobei hier die Nutzen-Risiko-Abwägung nicht immer leicht fällt. Zentrales Thema dabei ist die Qualität des verbleibenden Lebens, nicht das Sterben, auch wenn dieses im Sinne der Wahrhaftigkeit in der Kommunikation nicht ausgespart wird.

Beachtet werden darüber hinaus – und das hat die Palliativmedizin der sonstigen, eher technisierten Heilkunde voraus – die seelischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse der unheilbar Kranken, z.B. in Form einer psychologischen oder psychosozialen Betreuung. Palliativmedizin und -pflege erfordert nämlich ein mitfühlendes und ständiges Hinhören und Hinschauen zur Erkennung der diversen Ansprüche des Schwerkranken im Sinne einer Krisenintervention. Außerdem die Unterstützung der Anliegen Angehöriger, für die es u.a. begleitende Unterbringungs- und nachsorgende Trauerbegleitungsangebote gibt.

Das Ganze passiert mit einem “high-person, low-technology“-Ansatz, unter Einbeziehung von erfahrenen Ärzten und Pflegekräften, Sozialarbeitern, Psychologen, Seelsorgern, Physiotherapeuten und Krankengymnasten sowie ehrenamtlichen Mitarbeitern. Welche Form der Palliativ Care – mobiles Palliativteam, Tageshospiz (Übernachtung zuhause), im Krankenhaus integrierte Palliativstation oder stationäres Hospiz – bevorzugt wird, hängt vom Erkrankungsstadium und der Situation des Patienten ab. Inzwischen existieren in jedem österreichischen Bundesland mobile und stationäre Hospiz- bzw. Palliativdienste.

Patientenverfügung: Selbstbestimmung bis zuletzt

Das will wohl niemand: Schwer krank und damit von anderen abhängig sein und noch dazu seine Wünsche nicht äußern können, weil man aus irgendeinem Grund (z.B. Demenz) nicht mehr wirksam kommunizieren kann. Eine medizinische Maßnahme nach der anderen, auch unangenehme und wenig sinnvolle, über sich ergehen lassen müssen, ohne sich wehren zu können. Und das obwohl klar ist, dass aller Voraussicht nach keine grundlegende Besserung mehr eintreten wird. Um dieser Horrorvision vorzubeugen haben alle erwachsenen Österreicher, die willens und geistig dazu in der Lage sind, die Möglichkeit zu überlegen, welche medizinische(n) Maßnahme(n) zur Lebensverlängerung sie ablehnen und das in einem Dokument namens Patientenverfügung kundzutun. Allerdings müssen sich ihre Ansinnen im legalen Rahmen bewegen, d.h. den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe z.B. darf die Verfügung nicht beinhalten bzw. hat sie keine Rechtsgültigkeit.

Nun gibt es zwei gesetzlich anerkannte Varianten:

  • die verbindliche Patientenverfügung: Ärzte und andere Beteiligte (z.B. Sachwalter) müssen die darin festgehaltenen Wünsche des Patienten unbedingt respektieren, selbst wenn es ihnen an Verständnis dafür mangelt und sogar dann, wenn dadurch eine lebenserhaltende Behandlung unterbleibt. Daher sind beim Abfassen der Verfügung strenge Vorschriften einzuhalten wie eine (kostenpflichtige) ärztliche Aufklärung des Patienten über die medizinischen Auswirkungen seines Willens und ihre (ebenfalls gebührenpflichtige) Errichtung vor einem Notar, Rechtsanwalt oder Patientenvertreter zur Information des Patienten über die rechtlichen Auswirkungen seiner Verfügung.
  • die beachtliche Patientenverfügung: Diese häufigste Form der Willenskundgebung für den Krankheitsfall ohne adäquate Möglichkeit zu entsprechender Artikulation lässt Ärzten einen gewissen Spielraum, ist lediglich eine Richtschnur für ihr Handeln. Sie sind also nicht unter allen Umständen daran gebunden. Die beachtliche Patientenverfügung erfordert keine strikten Formvorgaben. Es ist aber sinnvoll, eine ärztliche Beratung für ihre Errichtung in Anspruch zu nehmen, um darin klar die Umstände zu konkretisieren, unter welchen eine medizinische Behandlung abgelehnt wird.

Willensäußerungen in einer Patientenverfügung können beispielsweise lauten: Bei schwerer Dauerschädigung meines Gehirns lehne ich eine Wiederbelebung ab. Für den Fall, dass sich bei mir aufgrund einer neuromuskulären Erkrankung eine schwere Atemnot einstellt, lehne ich eine Intensivtherapie ab.

Gültigkeitsdauer und -verlust

Die verbindliche Patientenverfügung unterliegt – außer bei einem inzwischen eingetretenen Verlust der Einsichts- und Urteilsfähigkeit ihres Inhabers – einer Wirksamkeitsbegrenzung von maximal fünf Jahren. Das zwingt im Falle eines Wunsches nach Erneuerung ihrer Gültigkeit ihren Verfasser dazu, sich damit auseinanderzusetzen, ob er sie – unverändert oder in abweichender Form – beibehalten will.

Die beachtliche Patientenverfügung hingegen hat keine Ablaufzeit, sollte jedoch regelmäßig von ihrem Verfasser daraufhin überprüft werden, ob der einst geäußerte Wille noch immer in derselben Weise zutrifft.

Zwei Dinge haben beide Formen der Patientenverfügung gemeinsam:

  1. Sie können jederzeit widerrufen werden, entweder ausdrücklich oder per schlüssiger Handlung (z.B. Zerreißen oder Vernichtung des Dokuments).
  2. Für ihre Erstellung existiert ein alle notwendigen formalen Kriterien erfüllendes standardisiertes Formular inklusive Arbeitsbehelf. Will man eine ursprünglich errichtete verbindliche Patientenverfügung nach Ablauf ihrer Wirksamkeitsdauer unverändert beibehalten, gibt es auch hierfür einen Vordruck (Erneuerungsformular), der allerdings nur dann gültig ist, wenn er mit Stempel und Unterschrift eines Arztes versehen sowie juristisch überprüft wurde.

Im medizinischen Alltag wirken sich vor allem zwei Umstände auf die Wirksamkeit einer Patientenverfügung aus:

  1. Tritt ein Notfall ein, kann die Suche nach einer Patientenverfügung bzw. Hinweiskarte darauf zu viel wertvolle, weil u.U. lebensrettende Zeit kosten, weshalb unter solchen Bedingungen kein Arzt verpflichtet ist, danach Ausschau zu halten.
  2. Der Stand der Wissenschaft ändert sich laufend. Was heute noch als qualvolle Maßnahme z.B. zur Aufrechterhaltung einer lebenswichtigen Körperfunktion Anwendung findet, wird morgen vielleicht schon durch eine neuere, deutlich sanftere andere Methode ersetzt, sodass die verfügte Unterlassung der Behandlung nicht mehr zum Tragen kommt.

Auf jeden Fall aber sollte für die Umgebung – vor allem während Spitalsaufenthalten – kenntlich gemacht werden, dass eine aufrechte Patientenverfügung besteht, d.h. eine Hinweiskarte ständig mitgeführt werden.

Weiter führende Links:
Österreichische PalliativGesellschaft (OPG)
Dachverband von Palliativ- und Hospizeinrichtungen/Hospizführer
Patientenverfügung
Ratgeber Patientenverfügung
Arbeitsbehelf  zur Patientenverfügung
Formular
Erneuerungsformular
Vorlage: Hinweiskarte auf eine Patientenverfügung
Patientenverfügungsgesetz

Link zu unserem Lexikon:
Senioren