Stress durch Lärm: wie Lärmbelastung krank macht
Auf der Straße brummen Autos. Am Himmel dröhnen Flugzeuge. Im Büro surren Geräte. Und zuhause laufen Fernseher und Computer. Selbst im trauten Heim finden vor allem Städter kaum noch die Ruhe, die sie brauchen. Unzweifelhaft: Lärm, allem voran Verkehrslärm, ist zu einem großen umweltbedingten Gesundheitsrisiko geworden. Darunter leiden Gehör und Nervenkostüm, Herz, Kreislauf und Hirn. Zeit, für mehr Stille zu sorgen. Das geht des Öfteren einfacher, als man denkt.
Die Welt wird immer lauter: Straßen-, Bahn- und Flugverkehr, Baustellen, Industrie- und Musikanlagen, Maschinen und Geräte u.a.m. erzeugen Geräusche, die – nicht selten rund um die Uhr – auf uns einprasseln. Denn anders als die Augen kann man die Ohren kaum vor Lärm, das heißt unerwünschtem, unangenehmem oder gar schädlichem Schall schließen. Somit wird er im Gegensatz zu etlichen anderen Umweltbelastungen unmittelbar und direkt wahrgenommen. Vor allem bei anhaltender Geräuschkulisse, sprich Dauerbeschallung kann Lärm deshalb krank machen.
Er beeinträchtigt zunächst das Gehör, dann die Psyche, auf längere Sicht auch den ganzen Organismus. Seine Schädlichkeit beruht zwar wesentlich auf – objektiv messbaren – physikalischen Qualitäten (z.B. Lautstärke) des einwirkenden Schalls. Ebenso hängen seine Folgen aber auch davon ab, was jemand als Lärm beurteilt und wie empfindlich er darauf reagiert. Und das gestaltet sich sehr individuell. Was Lärm mit Körper und Seele anstellt, aber auch was man dagegen tun kann, erläutern wir hier.
Noch Geräusch oder schon Lärm?
Geräusche entstehen durch Schwingungen in der Luft. Sie besitzen verschiedene Frequenzen (in Hertz (Hz) gemessene Schwingungszahl), die über die Ohren als hohe oder tiefe Töne (menschliches Wahrnehmungsspektrum: 16 bis 20.000 Hz) wahrgenommen werden. Und einen unterschiedlichen Schalldruck (in Dezibel (dB) gemessener Schallpegel, d.h. Lautstärke), der als lauter oder leiser Schall gehört wird. Wird ein Geräusch als störend oder lästig empfunden, gilt es als Lärm. Ob dem so ist, hängt von dem gehörten Geräusch selbst, seiner Lautstärke und Tonhöhe, aber auch dem Geräuschpegel in der Umgebung ab. So stellt etwa die Art (z.B. Rauigkeit) eines Geräuschs ein wichtiges Charakteristikum dar, ob es als angenehm oder unangenehm (z.B. Dieselmotor, Kratzen von Kreide oder Fingernägeln auf einer Tafel) empfunden wird oder nicht. Das hat vermutlich mit der evolutionär bedingten Signalwirkung bestimmter Geräusche (z.B. hohe Frequenzen wie Babygeschrei, Knurren als Gefahrenhinweis) zu tun.
In der Regel entspricht eine längere Beschallung mit einem Schallpegel ab etwa 50 dB (entspricht der Lautstärke eines normalen Gesprächs) einer Lärmbelastung. Das ist etwa in vielen Büros der Fall, wo er 60 dB betragen kann, was einer mäßigen Lautstärke gleichkommt. Dagegen nimmt sich das Ticken einer Uhr mit seinen 20 dB oder das Surren eines Kühlschranks mit seinen 40 dB vergleichsweise still aus. Die menschliche Schmerzschwelle liegt bei etwa 130 dB. Die Lärmbelastung in einem Gebiet für einen bestimmten Zeitraum wird mithilfe eines Lärmindex beschrieben.
Einen entscheidenden Einfluss auf die Lärmwahrnehmung nimmt das subjektive Empfinden des Hörenden (Psychoakustik). So kommt es etwa zu einer erhöhten Lärmanfälligkeit, wenn Geräusche eine gerade ausgeübte Tätigkeit unterbrechen und/oder man unter Stress steht. Zudem hängt die Intensität des Lärmempfindens vom Lärmverursacher (“lieber Freund oder lästiger Nachbar“) ab. Auch hat es den Anschein, dass die Toleranz gegenüber Lärm mit fortschreitendem Alter abnimmt. Dass persönliche Faktoren bei der Lärmwahrnehmung eine Rolle spielen, lässt sich aber therapeutisch nutzen – etwa indem Lärmempfindliche lernen, zumindest zeitlich begrenzten Lärm umzubewerten und damit besser zu ertragen (z.B. Baulärm: „ Das Haus wird …. fertig. Dann ist es vorbei.“)
Häufige Lärmquellen
Als Hauptquelle der Lärmbelastung gilt hierzulande der Straßenverkehr, der bei starkem Verkehrsaufkommen bzw. dem Vorbeifahren schwerer Lkws durch die Motorgeräusche der Fahrzeuge (PKWs, LKWs Motorräder, Busse, etc.) und Abrollgeräusche ihrer Reifen auf der Fahrbahn einen Schallpegel von 80 bis 90 Dezibel aufweist, also sehr laut ist. Dabei gilt: Je schneller die Fahrzeuge unterwegs sind, desto lauter werden sie. Verkehrsflugzeuge in 50 Metern Entfernung kommen gar auf eine unerträgliche Lautstärke von 120 dB.
Auch durch Lärm in Nachbarwohnungen fühlen sich viele Österreicher gestört. Ebenso tragen vielerorts Baustellen (z.B. Presslufthammer: 100 dB, = sehr laut bis unerträglich) oder Freizeiteinrichtungen (z.B. Diskotheken: 100 dB) zu einem hohen Lärmpegel bei. Selbst am Arbeitsplatz bleiben viele Berufstätige nicht von einer anhaltend störenden Geräuschkulisse verschont. So erreicht etwa die Lautstärke in lauten Fabrikhallen ca. 90 dB und in Kesselschmieden rund 110 dB (= unerträglich). Den Geräuschpegel, der vom Straßen-, Schienen- und Flugverkehr, von Industrieanlagen und Freizeitbetrieben ausgeht, bezeichnet man als Umgebungslärm.
Lärm: mehrfache Gesundheitsgefahr
Unter Lärmbelastung leiden primär natürlich die Hörorgane mit ihren im Innenohr sitzenden, empfindlichen Sinneshärchen, wo Geräusche mit einem Schallpegel ab ca. 85 dB vorübergehende Hörschäden verursachen können. Bei dauerhafter Einwirkung – infolge der durch Überlastung bedingten Degeneration von Sinneshärchen – auch bleibende Hörverluste, oft vergesellschaftet mit einem Tinnitus (Ohrgeräusche). Geräusche mit sehr hohen Lautstärken (140 bis 160 dB) sind selbst dann imstande, ein akustisches Trauma auszulösen, wenn sie nur Bruchteile von Sekunden (z.B. Knalltrauma) einwirken. Wie brisant dieses Problem ist, beweisen Untersuchungen, denen zufolge Schwerhörigkeit und Tinnitus inzwischen zu Volkskrankheiten geworden sind, mit denen – v.a. dank zu lauten Musikhörens – sogar schon viele Jugendliche kämpfen.
Das Gehör ist jedoch bei weitem nicht das einzige Organ, das durch Lärm beeinträchtigt wird. Auch wenn dessen indirekte Folgen nicht immer einfach nachweisbar sind, gilt inzwischen als gesichert, dass bereits Lärm bis 85 Dezibel Stress erzeugt, der verschiedene Alarmreaktionen im Körper in Gang setzt wie etwa die Freisetzung von Stresshormonen (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) und damit einen Blutdruckanstieg, eine Beschleunigung der Herzfrequenz sowie Aktivierung der Blutgerinnung und Erhöhung der Muskelspannung. Zudem schwächt er das Immunsystem. Es stellen sich Herz-Kreislauferkrankungen (z.B. Bluthochdruck, Herzinfarkt), Allergien und Migräne ein, zeigen Studien.
Besonders empfindlich reagiert der Organismus auf störende Geräusche in Ruhephasen wie etwa nachts (“das Ohr schläft nie“: überlebenswichtige Warnfunktion). Deshalb verwundert es nicht, dass sie – obwohl sie im Schlaf nicht bewusst wahrgenommen werden – Schlafstörungen bis hin zu Aufwach- und Schreckreaktionen sowie Fehlsteuerungen von Stoffwechselvorgängen und Organfunktionen nach sich ziehen können. Ebenso weitreichend sind die psychischen Folgen von Lärm: Sie reichen von Konzentrationsstörungen, Leistungseinbußen, Reizbarkeit und Aggressivität bis hin zur Entstehung psychiatrischer Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen und – besonders bei Kindern – zu Gedächtnisstörungen und Lernbehinderungen. Kurzum: Ständige Lärmeinwirkung kostet Seelenheil und Lebensqualität.
Am Arbeitsplatz regeln hierzulande ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen, wie sehr und wie lange Arbeitnehmer Lärm in welcher Intensität ausgesetzt sein dürfen. Doch auch sonst ist Lärm oft kein unausweichliches Schicksal, sondern in vielen Fällen durch Lärmschutzmaßnahmen verringer- bis vermeidbar.
Schutz vor Verkehrslärm
Der beste Schutz vor Lärmbelastung besteht klarerweise darin, erst gar keine Lärmquellen entstehen zu lassen. Das ist, handelt es sich um moderne Mobilität, natürlich wenig realistisch. Trotzdem muss man Straßenlärm nicht hilflos ausgeliefert sein, denn eine ganz wichtige Lärmschutzmaßnahme in Bezug auf Kraftfahrzeuge lautet Geschwindigkeitsbegrenzung. Oder anders gesagt: Langsamer ist leiser. Deshalb werden vor allem in städtischen Wohnbereichen zunehmend verkehrsberuhigte Zonen eingerichtet. Darüber hinaus gibt es folgende Möglichkeiten, ein erhöhtes Straßenverkehrsaufkommen bzw. verkehrsbedingten Lärm zu reduzieren:
- einen umweltfreundlicheren Fahrstil pflegen: vorausschauendes, langsameres und gleichmäßiges (Vermeidung unnötiger Beschleunigungen) Fahren
- Fahrgemeinschaften bilden statt “nur ein Insasse pro Auto“
- lärmarme Autoreifen verwenden
- auf ein Elektromobil umsteigen
- überflüssige Autofahrten vermeiden
- verstärkt öffentliche Verkehrsmittel nutzen
- Wege mit dem Rad oder zu Fuß zurücklegen
- bauliche Maßnahmen wie z.B. Lärmschutzwände entlang von Autobahnen und Schnellstraßen treffen, um Anrainer vor übermäßiger Lärmbelastung zu bewahren
Musikhören: Schutz vor Hörschäden
Der Besuch von Musikevents wie in Diskotheken, Festzelten, bei Tanzveranstaltungen, Clubbings, Pop- oder Rockkonzerten ist ein beliebtes Freizeitverhalten, auf das viele nicht verzichten möchten, das aber einen grenzwertüberschreitenden (gesetzliches Limit für den Publikumsbereich von Musikveranstaltungen: 93 dB bzw. an Tanzflächenrändern: 95 dB), schädlichen Dauerschallpegel von 100 dB erreichen kann. Ebenso haben vor allem Jugendliche gern die Angewohnheit, via Kopfhörer laut Musik zu hören. Wie bei jeder anderen Lärmbelastung gilt auch für Musikevents und Musikhören: Je höher die Lautstärke und Beschallungsdauer, desto größer das Gesundheitsrisiko. Wobei zusätzliche Lärmbelastungen im Alltag (z.B. im Beruf) erschwerend wirken. Deshalb werden die Veranstalter von Konzerten u.ä. dazu angehalten, auf die Einhaltung eines Schallpegels von max. 100 dB zu achten, ihr Publikum auf die mögliche Gehörgefährdung aufmerksam zu machen und es vom Nahbereich von Lautsprechern fernzuhalten sowie Gehörschutzmittel (Schalldämmung: mindestens 15 dB) auszufolgen. Doch auch selbst kann man Gehörschäden hintanhalten, etwa durch die Vermeidung extrem lauter Musikeinwirkungen, die Einhaltung von Erholungsphasen für die Ohren durch wiederholtes Aufsuchen ruhiger Bereiche und das Tragen von Gehörschutz.
Lärmgeschützt wohnen
Besonders in den eigenen vier Wänden will man sich sicher und geschützt wissen, die Kontrolle über darin stattfindende Vorgänge innehaben. Deshalb wird Lärm dort gern als Eindringling oder gar Angreifer, der diese Privatsphäre verletzt, empfunden. Eine gute Wohnqualität basiert eben unter anderem auch auf einem ausreichenden Schutz vor unerwünschter Lärmbelastung. So möglich, sollte man daher bereits bei der Planung eines Gebäudes darauf Bedacht nehmen. Beispielsweise durch die Wahl qualitativ geeigneter Außenwände oder die Orientierung der Kinder- und Schlafzimmer entgegengesetzt zur Straßenseite hin. Aber auch nachträglich lässt sich durch entsprechende Sanierungsmaßnahmen selbst an lärmgeplagten Standorten noch ein ruhigeres Wohnambiente schaffen wie z.B. mithilfe:
- eines fachgerechten Einbaus qualitativ hochwertiger neuer Fenster oder einer Fenstersanierung, d.h. der Reparatur durchlässiger Fensterrahmen und/oder Abdichtung etwaiger undichter Stellen zwischen Flügelrahmen und Fensterstock bzw. Fensterstock und Außenwand
- des Anbringens schalldämmender Rollläden
- einer nachträglichen Außenwanddämmung und Dachsanierung
wobei der Lärmschutz umso besser sein soll, je mehr Lärm draußen stattfindet. Wie laut es in der trauten Umgebung ist, (mit)entscheidet aber auch das eigene Verhalten. So wird es z.B. – gehörentlastend und nervenschonend – stiller, wenn nicht dauernd CD-Player, Radio oder Fernsehgerät im Hintergrund laufen.
Weiterführender Link:
Lärmschutz für Österreich
Verwandte Ratgeber:
Knalltrauma & Co.: Wie akuter Lärm das Gehör schädigt
Schwerhörigkeit: wenn es mit der Schallwahrnehmung nicht klappt
Schwerhörigkeit: wenn es mit der Schallleitung nicht klappt
Gehörlosigkeit: taub durch Gendefekte oder andere Ursachen
Hörsturz: plötzlich taub
Tinnitus (Ohrgeräusch, Tinnitus aurium)
Hörgerät: besser hören bedeutet besser leben
Implantierbare Hörsysteme: besser hören mit “Hörgeräten im Kopf“
Link zu unserem Lexikon:
Tinnitus
Datum: 14. April 2016
Kategorien: Psyche & Nerven