Sexueller Missbrauch: Die Seele leidet lebenslang

Sexueller Missbrauch ist wohl die perfideste Form von Gewalt gegen Kinder. Denn statt den seelisch so notwendigen Körperkontakt unbekümmert zu genießen müssen sie Berührungen von jemandem, den sie lieben, fürchten, die Übergriffe geheim halten und sich auch noch daran schuldig fühlen. Diese enorme innere Verwirrung zeitigt ungeahnte Folgen für den Rest ihres Lebens.
Es geschieht – und das zuhauf – im Geheimen, wird trotz inzwischen erhöhter Medienpräsenz immer noch gern tabuisiert und richtet unermesslichen Schaden an: sexueller Missbrauch. So nennt man strafbare Handlungen an Minderjährigen, die Erwachsene zur Befriedigung ihrer sexuellen Triebe ausführen. Dazu zählt nicht allein, wie fälschlicherweise oft angenommen, die Vergewaltigung, sondern auch schon anzügliche Äußerungen, das “Begrapschen“ u.a.m. Der eigentliche Tatort heißt aber Kinderseele. Denn durch den Missbrauch verlieren Kinder und Jugendliche das Vertrauen in andere Menschen und sich selbst. Das kostet sie ihre psychische, oft auch die körperliche Gesundheit. Die Folgen begleiten sie ihr Leben lang.
Täter und Opfer
Wie viele Menschen tatsächlich persönliche Erfahrungen mit dem Thema haben, lässt sich höchstens schätzen, denn längst nicht alle schaffen es, darüber zu sprechen, sodass es mit Sicherheit eine hohe Dunkelziffer gibt. Fest steht jedenfalls: Mädchen (jedes 3. Bis 4.) sind die bevorzugten Opfer sexuellen Missbrauchs, Knaben (jeder 7. Bis 8.) dürfen sich davor aber auch nicht sicher fühlen. Besonders häufig betroffen sind Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter, doch auch noch jüngere Kinder bis hin zu Babys sind nicht davor gefeit.
Der Täterkreis ist groß. Entgegen der landläufigen Meinung sind es aber selten die “bösen Fremden“, vor denen Eltern ihre Kinder so gerne warnen, sondern in der Regel Menschen, die die Kinder kennen wie Familienmitglieder, Bekannte, Pädagogen, vermeintlich nette Nachbarn u.ä. Dabei handelt es sich in der Mehrzahl um Männer, die diesen schweren Vertrauensbruch begehen. Aber auch manche Frauen und Jugendliche betreiben Missbrauch an Kindern. Eine Begrenzung hinsichtlich Alter, Beruf, gesellschaftlichem Status etc. gibt es nicht. Die Täter stammen aus allen sozialen Schichten.
Ablauf und Formen
Der Täter versucht meist, sein auserwähltes Opfer nach und nach zu gewinnen, z.B. mit Lob, Zuwendung oder Geschenken. Oft beginnt er den Missbrauch mit scheinbaren Zufallsgesten (z.B. “unabsichtlich“ die Brust berühren), um auszutesten, ob das Kind darüber schweigt. Ist das erfolgreich, kann er die Intensität der Übergriffe langsam steigern. Und vor allem wiederholen, was in der Regel auch immer wieder geschieht. Er setzt dabei das Kind psychisch unter Druck, damit es ihn nicht verrät. Oft empfindet das Kind eine Mitschuld an dem Geschehen, die es natürlich nicht hat.
Die Bandbreite an Missbrauchsvarianten ist groß und reicht von verbalen bis hin zu körperlich gewalttätigen Attacken. Allen gleich ist, dass sie außer einem Vertrauensbruch auch die Ausnutzung einer Machtposition des Täters gegenüber dem Opfer bedeuten. Dazu zählen Handlungen wie:
- mit einem Kind anzüglich sprechen oder es lüstern mustern
- zwecks eigener Erregung ein Kind anfassen oder sich von ihm berühren lassen
- sein Glied am Körper eines Kindes reiben
- intime Küsse (Zungenküsse) an ihm ausführen
- mit Fingern oder Gegenständen in seinen Enddarm oder die Scheide eindringen
- ein Kind anal, oral oder vaginal vergewaltigen
- sich vor einem Kind selbst befriedigen
- gemeinsam mit einem Kind einen Porno anschauen oder es zur Herstellung pornographischen Materials benutzen usw.
Hinweise auf sexuellen Missbrauch
Darüber sprechen trauen sich missbrauchte Kinder meist nicht und ihre Reaktionen auf das Geschehen sind unterschiedlich, doch häufig senden sie stumme Signale oder weisen körperliche Spuren auf wie:
- Verletzungen des Intim- und Analbereichs, der Brust oder anderer erogener Zonen wie Kratzer, Striemen, blaue Flecken, Schürf- oder Bisswunden, unerklärliche Blutungen, Scheiden- und Analrisse, Fremdkörper in der Scheide oder im After
- unerklärliche Harnwegsinfekte, genitaler Juckreiz, sexuell übertragbare Krankheiten (z.B. Feigwarzen, Pilze, Gonorrhoe), häufige Entzündungen im Genitalbereich
- plötzliche Verhaltensänderungen wie z.B. Aggressivität, sozialer Rückzug, Ängste, Rückfall in frühkindliche Verhaltensweisen, distanzloses oder aufreizendes, altersunangemessenes sexualisiertes Verhalten
- psychosomatische Beschwerden (z.B. Bauchschmerzen, Übelkeit)
- Stimmungsschwankungen, Leistungsabfall, Ess- oder Schlafstörungen, Bettnässen etc.
- Schwangerschaften jugendlicher Mädchen
Missbrauchsfolgen
Auch wenn nicht in jedem Fall gleich ein Trauma (intensives Ereignis mit gefühlter starker persönlicher Bedrohung) stattfindet, bleiben von jedem Missbrauch Nachwirkungen. Denn Kinder verfügen nicht über die notwendigen Strategien, solch ein einschneidendes Ereignis zu bewältigen. Nicht selten zweifeln sie auch an der eigenen Wahrnehmung. Das Risiko für psychische Folgeschäden, die manchmal erst im Erwachsenenalter zutage treten, steigt mit der Dauer des Missbrauchs, dem Kindesalter (je jünger, desto heftiger), dem Altersunterschied zwischen Täter und Opfer, der verwandtschaftlichen Nähe zum Täter (z.B., wenn es sich um den Vater handelt), der Intensität angedrohter oder angewendeter Gewalt, dem Grad der Geheimhaltung und dem Mangel an schützenden Vertrauenspersonen.
Im Erwachsenenalter kann sich ein durch Missbrauch entstandenes Trauma in Form von Süchten, Depressionen, Essstörungen, Selbstablehnung, autoaggressiven Handlungen (z.B. Selbstverletzungen, Selbstmordversuche), Angststörungen, einem Mangel an Selbstwert- und/oder Körpergefühl, Sexualstörungen, Partnerschaftsproblemen, Prostitution, Gefühlen wie Scham, Schuld und Wut, emotionalem Rückzug und sozialer Isolation, Misstrauen und psychosomatischen Beschwerden (z.B. Haut- und Magenerkrankungen, chronische Schmerzen) äußern. Die mangelnde Selbstwertschätzung endet oft in einem ungesunden Lebensstil und dadurch bedingten Erkrankungen wie z.B. Diabetes und Herzleiden.
Die Unerträglichkeit der mit dem Missbrauch zusammenhängenden Gefühle drängt die Opfer oft zu Reinszenierungen (nochmalige Darstellungen) ihrer Situation – entweder als Opfer (v.a. Frauen: z.B. Gewalterfahrungen in Beziehungen), Täter (z.B. Kriminalität) oder Helfer (Engagement gegen Kindesmissbrauch), was sie aber kaum wirksam von ihren traumatischen Erinnerungen befreit.
Verdacht auf Kindesmissbrauch – was tun?
Erster und wichtigster Schritt ist, das Kind ernst zu nehmen und seinen Aussagen Glauben zu schenken sowie einfühlsam und ruhig mit ihm zu reden. Die zweite, nicht minder wichtige Maßnahme besteht in der sofortigen Unterbindung des Missbrauchs und Trennung des Kindes von seinem Peiniger. Hilfestellung hierzu leisten Beratungsstellen. Mit Hilfe einer Psychotherapie kann das Kind dann das Erlebte aufarbeiten.
Kindesmissbrauch vorbeugen
Leider ist diese schwere Form der Verletzung des Kindeswohls weit verbreitet, sodass es keine 100-prozentig sicheren Methoden zu ihrer Verhinderung gibt. Allerdings können einige erzieherische Strategien dazu beitragen, Missbrauch hintanzuhalten. Hierzu gehört
- eine altersgerechte Aufklärung und die Gewährung von viel Aufmerksamkeit und Zuwendung.
- die Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre, in der sich das Kind nicht scheut, jederzeit über Erlebnisse, Gefühle, Ängste und Freuden, aber auch über ihm unangenehme oder peinliche Dinge zu sprechen. Passieren doch Übergriffe, kann es so leichter kundtun, was ihm passiert ist, auch wenn es dem Täter versprochen hat, zu schweigen.
- die Unterstützung des kindlichen Selbstbewusstseins und Durchsetzungsvermögens. “Nein-Sagen“, also Grenzen setzen, ist okay. Das Kind darf über seinen Körper selbst bestimmen und entscheiden, welche Berührungen und Gesten es zulassen möchte.
- dem Kind zu vermitteln, wie es sich wehren und Hilfe holen kann.
Ein gut ausgeprägtes Selbstbewusstsein ist also bis zu einem gewissen Grad ein Schutz davor, zu einem Missbrauchsopfer zu werden, denn die Täter bevorzugen gehorsame und wehrlose Kinder wie etwa unzureichend aufgeklärte, sich nur schwer ausdrücken könnende (z.B. behinderte oder jüngere als vier Jahre), eingeschüchterte (z.B. nicht widersprechen dürfende, Gewalttaten ausgesetzte) und materiell arme oder besonders liebesbedürftige Mädchen oder Knaben.
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Datum: 13. Oktober 2014
Kategorien: Kindergesundheit, Psyche & Nerven