Psychosomatik: Wenn die Seele durch den Körper spricht

Es sollten keine Bemühungen unternommen werden, den Körper ohne die Seele zu kurieren. Wenn Kopf und Körper wieder gesunden sollen, so muss man zuerst den Geist behandeln, wusste bereits der antike Philosoph Platon. Die Psychosomatik greift diese Weisheit auf und untersucht Krankheitszeichen auf ihre körperlichen und psycho-sozialen Zusammenhänge. Sie werden am Beispiel Magenleiden nur allzu deutlich.
Beschwerden bzw. Krankheiten entstehen nicht immer nur auf organischer Basis, weil z.B. der Körper Schaden genommen hat. Recht häufig leidet nämlich die Seele und tut das in Form somatischer Symptome kund. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern teilweise altes Volkswissen, das sich in zahlreichen Redewendungen ausdrückt wie z.B. etwas schlägt auf den Magen, geht unter die Haut oder an die Nieren, bringt die Galle zum Überlaufen oder bereitet Kopfzerbrechen u.v.a.m.
Dennoch ist die Kenntnis um solche Zusammenhänge ziemlich verloren gegangen in der übertechnisierten konventionellen “fünf Minuten pro Patient“-Medizin, die nur oberflächlich gesehen Zeit spart, in Wirklichkeit aber, wenn psychisch verursachte oder beeinflusste Leiden nicht rechtzeitig als solche erkannt werden, zu einer Odyssee durch verschiedene Arztpraxen (doctor shopping) mit überflüssigen Diagnose- und Therapieverfahren und damit enormem Zeit- und Kostenaufwand führt. Das berücksichtigen immer mehr Ärzte und widmen sich der Psychosomatik, der wechselseitigen Beziehung zwischen Psyche und Soma, also Seele und Körper.
Psychosomatik: Seele trifft Körper
Manche organische Erkrankungen (z.B. pathologisches Übergewicht) haben psychische Auslöser. Oder Krankheiten (z.B. Schlaganfall) beginnen organisch und führen dann zu seelischen und sozialen Belastungen. Es gibt aber auch Symptome, für die trotz intensiver Untersuchungen kein organisches Substrat gefunden werden kann. Sie nennt man somatoforme Störungen, die sich beispielsweise als Schmerzen in der Herz- oder Unterleibsregion äußern. Träger einer somatoformen Störung fordern oft hartnäckig trotz wiederholt negativer Ergebnisse Untersuchungen ein und fühlen sich falsch behandelt, wenn ihnen ein Arzt versichert, dass die Symptome keinen körperlichen Ursprung haben.
All das ist Gegenstand der psychosomatischen Medizin, die auf dem bio-psycho-sozialen Modell fußt. Dieses besagt, dass, wenn es um Gesundheit bzw. Krankheit geht, körperliche, seelische und soziale Faktoren eng zusammen wirken. Demnach befasst sich die Psychosomatik sowohl mit der körperlichen als auch der psycho-sozialen Situation von Patienten und ihren Wechselwirkungen, wobei des Öfteren – im Sinne einer “Henne-oder-Ei-Situation“ – oft schwer zu eruieren ist, was Auslöser und was Folge ist.
Wo psychosomatische Zusammenhänge eine Rolle spielen
Psycho-soziale Faktoren haben oft erheblichen Anteil an sogenannten Zivilisationskrankheiten wie z.B. Bluthochdruck, Übergewicht oder Typ 2-Diabetes, aber auch an einer Reihe von diversen Beschwerden und Krankheitsbildern wie etwa Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrgeräuschen, Erkrankungen des Verdauungstrakts, der Atemwege (z.B. Asthma bronchiale), des Immunsystems (z.B. Allergien, Autoimmunerkrankungen), Unterleibsbeschwerden, Problemen am Bewegungsapparat (z.B. Gelenks- oder Rückenschmerzen) oder Essstörungen (Binge Eating, Bulimie, Anorexie).
Hinter jedem Symptom steckt aus psychosomatischer Sicht ein innerer Konflikt, der nicht erfolgreich gelöst werden kann. Nun drückt sich aber nicht jeder innere Konflikt im selben Organ aus. Vielmehr existiert eine gewisse Ordnung, wo sich bestimmte Probleme bevorzugt manifestieren. Beispiele für solche “Organbezüge“ sind:
- Haut: eigene Grenzen wahrnehmen und verteidigen
- Zähne: Durchsetzungskraft
- Hals: Verbindung zwischen Gefühl und Intellekt
- Herz: Lebensrhythmus, Lebenskraft, Liebe
- Lunge: Freiheit, Eigenständigkeit, Kontakt, Kommunikation
- Magen: Geborgenheit, emotionaler Hunger
- Darm: Verwerten oder Aussortieren
- Blase: Gefühle zeigen, loslassen können
- Weibliche Geschlechtsorgane: aufnehmen und nähren
- Männliche Geschlechtsorgane: sich aneignen und durchsetzen
- Gelenke: Verbindungen mit anderen Menschen
- Füße: Standfestigkeit, Standpunkte haben
Psychosomatische Behandlung
In der Praxis zeigt sich, dass psychosomatische Beschwerden zwar sehr häufig zu Arztbesuchen führen und Hausärzte diesen Patienten zum Großteil eine entsprechende Beratung über die Ursachen und den Umgang damit angedeihen lassen, jedoch nur eher selten eine gezielte medikamentöse und psychosomatische bzw. psychotherapeutische Behandlung.
Bevor eine psychosomatische Behandlung in Angriff genommen werden kann, muss eine adäquate medizinische Abklärung der Beschwerden erfolgen. Inklusive Erhebung seelischer und sozialer Belastungsfaktoren und des Erfolgs bisheriger Behandlungen. Ergibt sich dabei der begründete Verdacht, dass seelische und/oder soziale Faktoren wesentlich zur Auslösung oder Aufrechterhaltung der Erkrankung beitragen bzw. zeigt sich, dass körperliche Maßnahmen allein als Therapie nicht ausreichen, wird eine psychosomatische Behandlung, d.h. psychologische/psychotherapeutische (z.B. Verhaltenstherapie) Verfahren, bei Bedarf kombiniert mit ergänzenden Entspannungstechniken (z.B. Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation) oder auch körperlichen Therapiemaßnahmen erforderlich. Die Arzt-Patient Beziehung ist dabei von besonderer Bedeutung.
Eine psychosomatische Behandlung beinhaltet immer auch eine Hilfe zur Selbsthilfe. Im Sinne von Experte für den eigenen Körper werden durch Selbstverantwortung und Selbstmanagement, d.h. einem für sich selbst passenden und kompetenten Umgang mit der eigenen Gesundheit, indem rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch genommen, nach eigenen Genesungsmöglichkeiten gesucht und gelernt wird, trotz krankheitsbedingter Einschränkungen möglichst gut zu leben.
Psychosomatik am Beispiel Magenleiden
Der Magen hat viel zu verdauen. Konkret und im übertragenen Sinn. So muss er alle verzehrten Speisen aufnehmen und zerkleinern. Aber auch “Liebe geht durch den Magen“. Und leider erst recht unterdrückte negative Gefühle wie Ärger und Angst, Aufregung und Anspannung, die ihn verkrampfen und zu viel Magensäure ausschütten lassen, bis Sodbrennen, ein Reizmagen oder sogar ein Magengeschwür entsteht.
Aus psychosomatischer Sicht steht der Magen für die Fähigkeit, Geborgenheit zu erreichen. Er ist ein Symbol für das kindliche Gefühlsnest, die Aufnahmefähigkeit, den Ort der Aufbewahrung und Vorbereitung alles Geschluckten. Seine Sichelform erinnert an den Mond, der z.B. in der Astrologie/Astromedizin als Repräsentant für die Gefühlswelt und Mutterfigur steht.
Wenn jemandem etwas auf den Magen schlägt, ihm flau im Magen wird oder er etwas in sich hineinfrisst, sind in der Regel Stress, Eile und Hektik die Auslöser. Das kann ein aufreibendes Beziehungs- oder Familienleben sein und/oder berufliche übermäßige Anspannungen, die kaum noch Raum für ein erholsames Privatleben lassen. Menschen mit einem empfindlichen Magen erleben also ihr Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit als nicht genügend befriedigt.
Magenleiden besitzen jedoch auch eine gewisse, wenn auch verdeckte, aggressive Komponente, kommt es dabei doch häufig zu einer Übersäuerung mit nachfolgender Schädigung der Magenschleimhaut bis hin zum Geschwür. Wem also etwas sauer aufstößt, dem hängt quasi seine Situation, d.h. seine heruntergeschluckten, aber unverdaulichen Gefühle, zum Hals heraus, ohne dass er das adäquat artikulieren kann.
Daher sollten sich diese sensiblen Menschen Zeit nehmen, um die Dinge in Ruhe reifen zu lassen und Erlebtes zu verarbeiten. Zudem benötigen sie eine gute Atmosphäre für Zweisamkeit. Als dazu hilfreich erweist sich die Pflege von Ritualen (z.B. Abendspaziergang, Meditation), um zur Ruhe zu kommen. Unterstützt von Maßnahmen wie auf regelmäßige Essenszeiten achten, immer wieder Ruhepausen einlegen und sich selbst Gutes tun. Seinem Bauchgefühl trauen und ihm gemäß sprechen und handeln sowie seine Wut ausdrücken zu lernen, entschärft den aggressiven Anteil der Problematik.
Psychotherapiert werden psychosomatische Magenprobleme zunächst ambulant, bestenfalls unterstützt von Entspannungsverfahren, bei Bedarf auch von Medikamenten. Bei ausbleibendem Erfolg ist eine mehrwöchige stationäre Behandlung mit u.a. Gesprächs- und Verhaltenstherapie sinnvoll, deren Ziel ein Entkommen aus dem Kreislauf zwischen emotionaler Belastung und Beschwerden ist.
Weiter führender Link:
Bundesweite Anlaufstellen für Psychosomatik
Verwandter Ratgeber:
Krank durch Sorgen?
Datum: 31. Juli 2014
Kategorien: Alternativmedizin & Naturheilkunde, Psyche & Nerven