Bruxismus: Zähneknirschen entlastet die Seele

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Meist nachts und da unbemerkt geschieht es: Die Zähne pressen sich aufeinander, reiben und knirschen. Das kann dem Gebiss und dem Kiefer merklich schaden. Denn im Zähneknirschen entladen sich – oft mit hoher Beißkraft – innere Anspannungen.

Meistens nachts im Schlaf (v.a. in den REM-Schlaf-Stadien), manchmal aber auch tagsüber in angespannten Situationen vollziehen viele Menschen ein Ritual, das ihnen in der Regel nicht bewusst ist: Sie knirschen mit den Zähnen. In vielen Fällen ein Phänomen, das von selbst wieder aufhört. Wenn nicht, kann ständiges kraftvolles (teilweise mit mehreren hundert Kilogramm Beißkraft) Aufeinanderpressen, Mahlen oder Reiben der Ober- und Unterkieferzähne aneinander aber die Zahnsubstanz, den Zahnhalteapparat, die Kiefergelenke und Kaumuskulatur schädigen. Der Bruxismus, wie Mediziner das Zähneknirschen und –pressen nennen, macht sich vorwiegend in jungen Jahren bemerkbar, kommt aber in jeder Altersstufe vor.

Zähneknirschen gehört ebenso wie Zähne- und Zungenpressen, Wangen-, Lippen- und Zungenbeißen sowie das Kauen auf Objekten (z.B. Fingernägel) zu den sogenannten Parafunktionen, im Zahnarzt-Jargon auch Habits genannt. Darunter versteht man Aktivitäten des Kauapparates, dem ein funktioneller Zweck wie z.B. das Zerkleinern der Nahrung, fehlt.

Auswirkungen als Hinweis

Auch wenn das Geschehen selbst unbemerkt verläuft, hat es spür- und sichtbare Folgen. So führt der enorme Druck, der auf den Kauapparat einwirkt, häufig am “Morgen danach“ zu Kopfweh und Kieferschmerzen.

Die langfristige Überanstrengung der Gesichts- und v.a. Kaumuskulatur bewirkt Verspannungen und Verhärtungen derselben, lässt in ihr kleine schmerzhafte Knötchen entstehen und stört das Zusammenspiel zwischen ihr und den Kiefergelenken. Ändert sich schließlich die Kieferposition in Richtung Kieferfehlstellung, kann das entzündliche oder degenerative Veränderungen an den Kiefergelenkflächen und -kapseln hervorrufen. Daraus resultiert eine sogenannte craniomandibuläre Dysfunktion (CMD), die sich mit Schmerzen und Reiben der Kiefergelenke beim Aufmachen und Schließen des Mundes bemerkbar macht. Verrutscht der Discus articularis (Gelenkscheibe), behindert oder blockiert das die Kieferbeweglichkeit und verursacht beim Mundöffnen ein Knackgeräusch.

Weitere Anzeichen für einen Bruxismus können Symptome sein wie eine Vergrößerung der Kaumuskulatur, Ohren-, Zahn-, Kopf-, Schläfen- oder Gesichtsschmerzen, Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich, Schwindel, ein Tinnitus (Ohrgeräusche) oder Sehstörungen.

Der Zahnarzt findet weitere Auswirkungen der Zähneknirscherei: Abschleifspuren (Schlifffacetten, Abrasionen, abgeriebene Kauflächen) an den Zähnen, Risse im Zahnschmelz, überempfindliche Zahnhälse, abgewetzte Zahnkronen, abgesplitterte, lockere oder gar in der Längsachse durchgebrochene Zähne. Schlimmstenfalls droht ein Zahnverlust. Auch eine Gingivaatrophie (Zahnfleischschwund) kann auftreten.

Zähneknirschen als Stressabbau

Warum jemand mit den Zähnen knirscht, ist noch nicht restlos geklärt. Fest steht jedenfalls, dass viele Menschen buchstäblich “die Zähne zusammenbeißen“, wenn sie psychischen Belastungen wie Stress, Angststörungen, Depressionen oder einer Vereinsamung ausgesetzt sind. Für sie ist der Bruxismus ein unbewusstes Ventil zur seelischen Entlastung. Deshalb kann man Zähneknirschen auch als psychosomatisches Leiden betrachten.

Der Auslöser muss aber nicht in der Psyche liegen. Auch veränderte Zahnstellungen oder -formen, Erkrankungen des Zahnhalteapparats, ein schlecht sitzender Zahnersatz (Brücke, Krone, Prothese) oder nicht passgenaue Zahnfüllungen können fürs Zähneknirschen und -pressen verantwortlich sein. Selten tritt ein Bruxismus im Rahmen orthopädischer oder neurologischer Erkrankungen wie z.B. funktionellen Störungen des Kiefergelenks oder multiple Sklerose auf.
Zudem können Genussgifte wie Alkohol oder Koffein, Drogen oder anregende Medikamente das Auftreten eines Bruxismus begünstigen.

Therapie: Symptome mildern – Ursachen bekämpfen

Da das Zähneknirschen meist nachts und vom Betroffenen unbemerkt stattfindet, sollten Partner oder Außenstehende, die das – übrigens oft recht lautstarke – Geschehen miterleben, den Zähneknirscher darauf hinweisen. Denn erreicht der Bruxismus eine derartige Intensität, dass deutlich Zahnsubstanz verlorengeht, es zu Schmerzen oder veränderten Kieferbewegungen kommt, sind Maßnahmen zur Entschärfung der Situation angesagt.

Um Zahnschmelz zu retten, hält ein Aufbissbehelf oder eine vom Zahnarzt individuell angepasste Okklusionsschiene aus durchsichtigem Kunststoff Ober- und Unterkiefer so weit voneinander fern, sodass zumindest eine Abschwächung der Symptomatik erfolgt. Eine dauerhafte Beseitigung des Problems darf man sich davon aber nicht erwarten, auch wenn die Okklusionsschiene eine Kieferposition einstellt, die den Unterkiefer stabilisiert und die Kaumuskeln entlastet.

Zur Milderung der Auswirkungen des Bruxismus dienen Verfahren wie Massagen der Kaumuskulatur, Physiotherapie, Elektrostimulation, Wärme- und Zahnbehandlungen.

Eine sofortige, jedoch nicht dauerhaft anhaltende (ca. 3 bis 6 Monate) Linderung argen Zähneknirschens versprechen Injektionen von Botox (Botulinumtoxin) in die Kaumuskeln. Das Nervengift senkt den Tonus (Spannkraft) der Muskeln.

Psychische Anspannungen, die sich im Zähneknirschen ausdrücken, lösen sich durch Entspannungsmethoden (z.B. autogenes Training, Yoga, progressive Muskelrelaxation, Tai Chi) Hypnose oder auch eine Psychotherapie.

Bei tagsüber ausgeübtem Bruxismus wichtig ist zudem, sich das Zähneknirschen bewusst zu machen. Denn wer es wahrnimmt, kann es willentlich unterdrücken. So lässt es sich quasi abtrainieren. Als Hilfen dazu dienen das Eintragen der “Knirschepisoden“ in einen Kalender, farbige Klebepunkte an Gegenständen, die einem häufig in die Augen fallen (z.B. Computer-Bildschirm, Fernseher) und daran erinnern sollen, den Kiefer bewusst zu entspannen, besonders aber Biofeedback. Bei diesem Verfahren wird ein Muskelanspannungen messender Sensor auf die Kaumuskeln geklebt. Kommt es zu Anspannungen der Kaumuskeln, werden sie per Warnton rückgemeldet. Das fördert die eigene Körperwahrnehmung und die Aufmerksamkeit, in welchen Situationen man mit Anspannung auf Stress reagiert.

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