Rachitis: weiche Knochen durch Vitamin-D-Mangel

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Was bei Erwachsenen Osteomalazie (Knochenerweichung) heißt, wird bei Kindern Rachitis genannt. In beiden Fällen handelt es sich um eine Störung des Knochenstoffwechsels, die eine unzureichende Mineralisation bedingt. Nur dass sich bei der kindlichen Rachitis typische Verkrümmungen und Verformungen der Gebeine einstellen. Schuld an der Krankheit ist meistens ein Vitamin-D-Mangel.

Damit sich die Knochen im Kindesalter richtig entwickeln, stark und stabil werden, brauchen sie Kalzium, Phosphat und auch Vitamin D, das wiederum Sonnenlicht, eine intakte Leber- und Nierenfunktion benötigt, um seine wirksame Form auszubilden und für eine ausreichende Kalziumaufnahme im Darm zu sorgen. Läuft an der Zufuhr der genannten Substanzen irgendetwas schief oder können sie aus irgendeinem Grund nicht verwertet werden, erhalten die Gebeine nicht genügend von den Mineralstoffen, werden weich, verformen und verbiegen sich. Dann ist eine Rachitis die Folge. Rechtzeitig behandelt sind ihre Auswirkungen meist reversibel.

Kalzium festigt die Knochen

Der Hauptbestandteil der anorganischen Substanz in Knochen und Zähnen, das Hydroxylapatit, speichert den Hauptteil an Kalzium und Phosphat im Organismus. Der Stoffwechsel der beiden Mineralstoffe ist eng miteinander verknüpft. Reguliert wird der Kalzium- und Phosphat-Haushalt durch

  • das Parathormon: dieses wird von vier kleinen sogenannten Epithelkörperchen, die als Nebenschilddrüse (Parathyreoidea) bezeichnet werden, ausgeschüttet und sorgt in erster Linie für die Aufrechterhaltung eines ausreichend hohen Kalziumspiegels im Blut. Hierzu mobilisiert es bedarfsgerecht Kalzium aus den Knochen und fördert dessen Rückresorption in den Nieren.
  • das Calcitonin: das Schilddrüsenhormon wirkt dem Parathormon entgegen, indem es eine Senkung des Kalziumspiegels und Einlagerung des Minerals ins Skelett bewirkt.
  • das Calcitriol (Vitamin D): die Ultraviolettstrahlung aus dem Sonnenlicht muss auf die Haut einwirken, damit mit der Nahrung zugeführtes Cholesterol dort in Vitamin D3 (Cholecalciferol, Calciol), überführt werden kann. Dieses wird dann in der Leber und den Nieren zu 25-Hydroxycholecalciferol (Calcidiol) und schließlich zum eigentlich wirksamen Calcitriol (1,25-Dihydroxycholecalciferol), das die Aufnahme von Kalzium in die Knochen ermöglicht, umgebaut.

Kalzium ist an vielen Vorgängen im Organismus beteiligt. Daher führen Abweichungen vom normalen Kalziumspiegel im Blut, aber auch ein verminderter Gehalt an dem Mineralstoff in den Knochen bzw. ein Mangel an dem für die Kalziumaufnahme im Darm notwendigen Vitamin D zu schwerwiegenden Veränderungen.

Ursachen eines Vitamin-D-Mangels

Zu einem Defizit an dem fettlöslichen Vitamin kommt es bei

  • einer ungenügenden Vitamin-D-Zufuhr oder -Synthese (z.B. im Alter).
  • mangelhafter Sonnenexposition: der Ausdruck “englische Krankheit“ stammt aus der Zeit der industriellen Revolution, wo in englischen Bergwerken Kinder arbeiten mussten und daher kaum das Tageslicht sahen.
  • Krankheiten, die mit einer Malabsorption (beeinträchtigte Nährstoffaufnahme, z.B. bei Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Zöliakie, Mukoviszidose) oder verminderten Fettaufnahme (z.B. exokrine Pankreasinsuffizienz) einhergehen.
  • Nieren- oder Leberleiden (z.B. chronische Hepatitis).
  • Hauterkrankungen, die die Vitamin-D-Synthese reduzieren (z.B. Schuppenflechte).
  • Fettleibigkeit, die eine vermehrte Speicherung und verringerte Verfügbarkeit des Vitamins bedingt.
  • Störungen der Nebenschilddrüse.
  • einer Einnahme von Medikamenten, die einen verstärkten Abbau von Vitamin D bewirken wie z.B. bestimmte Antiepileptika.
  • bestimmten genetischen Abweichungen wie z.B. einer Mutation der für den Umbau der Vitamin D-Vorstufe Calcidiol zu Calcitriol zuständigen 1-Alpha-Hydroxylase (hypokalzämische, Vitamin D-abhängige Rachitis).
  • Tumoren.

Fehlt es an Vitamin D, werden die Knochen zunehmend brüchig, da die Mineralisation nicht stattfinden kann und es kommt zu den charakteristischen Symptomen der Rachitis. Entsteht, was eher selten vorkommt, die Krankheit unabhängig von einem Vitamin D-Mangel, steckt ein zu geringer Phosphatspiegel (Hypophosphatämie) infolge eines vermehrten Phosphatverlusts über die Nieren durch Schädigung der Nierentubuli oder Enzymdefekte dahinter und das Ganze nennt sich Phosphat- Mangel- Rachitis. Wie beim X-chromosomal-dominant vererbten Phosphatdiabetes, der mit einer Hypophosphatämie und einem normalen Kalzium-, Parathormon- und Vitamin D-Spiegel verbunden ist (familiäre hypophosphatämische Rachitis).

Kennzeichen einer Rachitis

Die Rachitis (griech.: rhachis = Wirbelsäule; juvenile Osteomalazie, englische Krankheit, Glisson-Krankheit) tritt zwar im Kindesalter auf, kann unbehandelt aber auch noch im Erwachsenenalter Auswirkungen (z.B. irreversible Skelettdeformationen) haben. In den ersten Lebensmonaten stehen Symptome wie innere Unruhe, Schreckhaftigkeit, Schwitzen (am Hinterkopf) und durch den Schweiß ausgelöste juckende Hautausschläge (Miliaria = Schweißbläschen, Hitzepickel) im Vordergrund. Später sind es neuromuskuläre Störungen wie eine Muskelschwäche, eine Übererregbarkeit der Muskulatur bis hin zur Tetanie (Muskelkrämpfe) oder gar Krampfanfälle, zudem ein durch die Muskelschwäche, Bauchmuskelerschlaffung, Verstopfung und Blähungen bedingter aufgetriebener Leib (“Froschbauch“), eine vermehrte Infektanfälligkeit, gestörte Zahnschmelzbildung, Karies und ein verspäteter Zahndurchbruch. Und – typisch – weiche Knochen, die zu Verformungen neigen wie

  • Verkrümmungen der Wirbelsäule.
  • eine Abflachung des Hinterkopfs und verzögerte Schließung offener Schädelnähte oder auch deren Erweiterung, sodass ein Quadratschädel und eine Kraniotabes (vermehrte Eindrückbarkeit des Hinterhauptbeins und der Scheitelbeine) entsteht.
  • in Röntgenaufnahmen sichtbare Auftreibungen im Bereich der Wachstumsfugen, sodass sich an der Knochenknorpelgrenze der Rippen ein perlschnurartig aussehender, sogenannter rachitischer Rosenkranz zeigt.
  • durch Muskelzug des Zwerchfells am Brustkorb verursachte Einziehungen („Harrison- Furche“).
  • eine Trichter- oder Kielbrust (Hühnerbrust).
  • durch Verformungen der Oberschenkelknochen bedingte Genua vara (O-Beine).
  • sich zunehmend verbreiternde Hand- und Fußgelenke („Marfan- Zeichen“).

Die genannten Merkmale können zu unterschiedlich stark ausgeprägten körperlichen Einschränkungen im Alltagsleben führen und auch Wachstumsstörungen nach sich ziehen. Sie finden sich nur im Kindesalter und nicht bei einer neu erworbenen Osteomalazie im Erwachsenenalter, die nicht durch solche typischen Knochenverformungen, sondern eher in Form von dumpfen Knochenschmerzen und pathologischen Frakturen in Erscheinung tritt.

Diagnose einer Rachitis

Die typische Symptomatik, Laborparameter wie eine Erniedrigung des Kalzium- und Vitamin-D-Spiegels und eine Erhöhung der alkalischen Phosphatase im Blut sowie charakteristische Knochenveränderungen (Kalkarmut, Verbreiterung der Wachstumsfugen, Gelenks- und Knochendeformationen) in Röntgenaufnahmen führen zur richtigen Diagnose. Eine Unterscheidung zwischen einer Kalzium-Mangel-Rachitis und einer Phosphat-Mangel-Rachitis erlaubt die Bestimmung des Parathormons im Blut, das bei einem Kalziummangel erhöht ist, aber bei einem Phosphatmangel im Normbereich liegt.

Therapie und Vorbeugung der Rachitis

Die Behandlung richtet sich grundsätzlich nach der Ursache der Rachitis. Da die Krankheit am häufigsten durch einen Vitamin-D-Mangel ausgelöst wird, erfolgt meist die Gabe eines hochdosierten Vitamin-D-Abkömmlings. Parallel dazu findet häufig die Verabreichung von Kalzium statt, um einer durch den erhöhten Knochenmetabolismus verursachten Erniedrigung des Kalziumspiegels im Blut entgegenzuwirken. Danach gilt es, eine an Kalzium (in Milchprodukten, v.a. Hartkäse, grünem Gemüse, Samen) und Vitamin D reiche Ernährung (z.B. in Fisch, Eigelb, Milch, Milchprodukten, Rinderleber, Lebertran) einzuhalten Bei Phosphatmangelerscheinungen muss Phosphat medikamentös ersetzt werden.

Wird eine Störung des Vitamin-D-Stoffwechsels durch eine Grunderkrankung hervorgerufen, ist diese zu behandeln. Fehlt es an Sonnenlicht, sind Aufenthalte im Freien oder auch Höhensonnenbestrahlungen an der Tagesordnung.

Die Knochendeformierungen heilen bei rechtzeitiger Behandlung aus. Schwere Verformungen müssen aber oft mit Schienen (z.B. Oberschenkel) oder operativ (Umstellungsosteotomie zwecks richtiger Knochenpositionierung) korrigiert werden.

Durch die Einführung der Vitamin-D-Prophylaxe für Kinder und die Anreichung von Säuglingsmilch mit dem Vitamin ist die klassische Vitamin-D-Mangel-Rachitis in unseren Breiten selten geworden.
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