Marmorknochenkrankheit: krank durch zu viel Knochenmasse

Eine hohe Knochendichte macht Knochen stark, sollte man meinen. Doch wie die Osteopetrose (Marmorknochenkrankheit) beweist, wirkt auch ein Zuviel an Knochenmasse schädlich. Auf welche Art und in welchem Ausmaß, das hängt von der jeweiligen Form der Erbkrankheit ab.
Knochen unterliegen ständigen Auf- und Abbauvorgängen, die von unterschiedlichen Zellen (Aufbau: Osteoblasten, Abbau: Osteoklasten) bewerkstelligt werden. Funktionsdefekte dieser Zellen führen daher zu einer Über- oder Unterproduktion von Knochenmasse. Können die Osteoklasten ihrer Aufgabe nicht ausreichend nachkommen, resultiert daraus eine Osteosklerose (Anhäufung von Knochenmatrix) mit Verlegung der Markräume. Da trotz hoher Skelettmasse die Kalzium-Phosphor-Bilanz nicht stimmt, stellt sich eine Instabilität und erhöhte Brüchigkeit der Knochen ein. Oft beruht eine solche Störung auf einer seltenen Erbkrankheit namens Osteopetrose (Osteopetrosis), auch Marmorknochenkrankheit oder Albers-Schönberg Syndrom genannt.
Auswirkungen der Marmorknochenkrankheit
Genau genommen handelt es sich bei der Osteopetrose (griech.: petros = Stein, Fels) um eine Gruppe seltener Krankheiten, die auf verschiedenen genetischen Defekten basieren und einen unterschiedlichen Verlauf nehmen. Das allen Formen gemeinsame und wesentlichste Merkmal ist eine krankhafte Vermehrung der Knochenmasse, die eine Zerstörung der Feinarchitektur der Knochen mit nachfolgender Instabilität und erhöhter Neigung zu Brüchen mit schlechter Heilungstendenz bedingt. Knochenschmerzen und -verformungen können sich daraufhin einstellen.
Doch das Skelett ist nicht das einzige Organsystem, das unter der verminderten Fähigkeit der Osteoklasten Knochensubstanz abzubauen leidet. Denn im Mark der langen Röhrenknochen werden normalerweise Blut- und Abwehrzellen gebildet. Bei der Marmorknochenkrankheit füllen sich auch die Innenräume der Knochen mit Knochenmasse, sodass kein Platz mehr für die Blutbildung bleibt. Sie verlagert sich (“extramedulläre Blutbildung“) deshalb in die Leber und Milz, dorthin, wo sie natürlicherweise bei Ungeborenen stattfindet. Das Resultat ist eine Hepatosplenomegalie (Leber- und Milzvergrößerung) sowie – infolge der Knochenmarkinsuffizienz, d.h. gestörten Produktion von roten Blutkörperchen, Blutplättchen und Immunzellen – eine Anämie, erhöhte Blutungsneigung sowie Schwächung der Abwehr mit erhöhter Infektanfälligkeit.
Da die Marmorknochenkrankheit die Calciumreserven des Körpers für den abnorm hohen Aufbau von Knochensubstanz anzapft, kann der Calciumspiegel im Blut sinken (Hypocalciämie). Hinzu kommt, dass es durch bestimmte für Osteopetrosen verantwortliche Gendefekte zu einer reduzierten Kalziumaufnahme im Darm und Hemmung der Parathormon vermittelten Knochenresorption kommt. Steht aufgrund dieser Vorgänge der Muskulatur nicht genug Calcium zur Verfügung, steigert das ihre Erregbarkeit, was als Krampfanfälle in Erscheinung treten kann.
Die Knochenvermehrung führt zudem vor allem an den Schädelknochen gern zu Knochenwucherungen. Da dort diverse Hirnnerven verlaufen, kann die überschießende Knochenmasse deren Kanäle einengen und so – je nach betroffenem eingeklemmtem Nerv – unterschiedliche Funktionen beeinträchtigen. Etwa die Motorik der mimischen Muskulatur (ev. Folgen: fehlende Ausdrucksmöglichkeit von Emotionen, Lähmung), das Hör- (schlimmstmögliche Folge: Taubheit) oder Sehvermögen (schlimmstmögliche Folge: Blindheit) oder den Gleichgewichtssinn (Folge: Schwindel).
Formen der Marmorknochenkrankheit
Art und Ausmaß der Symptome variieren je nach Form der Marmorkrankheit. So kennzeichnen etwa die eher mild verlaufende, autosomal-dominant vererbte benigne Osteopetrose (Morbus Albers-Schönberg), die sich im Alter zwischen zehn und 40 Jahren erstmals zeigt und eine normale Lebenserwartung aufweist, neben gehäuften Knochenbrüchen
- eine Skoliose (Seitwärtsneigung der Wirbelsäule)
- Beindeformitäten
- besonders am Unterkiefer sich entwickelnde Osteomyelitiden (Knocheneiterungen)
- relativ häufige Schädigungen der Hirnnerven.
Die bereits bei Säuglingen sich manifestierende, autosomal-rezessiv vererbte infantil-maligne Osteopetrose hingegen macht sich neben gehäuften Knochenbrüchen bemerkbar mit
- spontanen Blutungen
- einer Hepatosplenomegalie
- wiederholten Infektionen
- Wachstumsverzögerungen (Kleinwuchs)
- gelegentlich auch einer geistigen Retardierung.
- recht häufig Anfallsleiden
- zur Erblindung und Ertaubung führenden Nervenkompressionen
- eventuell einem Hydrocephalus (“Wasserkopf“).
Die ebenfalls autosomal-rezessiv vererbte, sich im Kindesalter manifestierende intermediäre Osteopetrose (Syndrom des Carboanhydrase-2-Mangels) wiederum ist mit einer renal tubulären Acidose (Störung der Säureausscheidung der Nieren), Knochenverformungen, Schmerzen und einer Chondrolyse (Knorpelauflösung) vergesellschaftet. Sie kann auch mit einem Kleinwuchs oder schweren neurodegenerativen Veränderungen einhergehen.
Eine Osteopetrose erkennen
Da es sich bei Osteopetrosen um seltene Erkrankungen handelt, wovon noch dazu ein Teil lange Zeit symptomarm bis beschwerdefrei verläuft, werden sie oft übersehen oder erst entdeckt, wenn bereits Komplikationen auftreten.
Bildgebende Verfahren (Röntgen, CT) sind zielführende Methoden zur Erkennung einer Osteopetrosis, denn auf den Aufnahmen stellen sich Knochenverdichtungen und -sklerosierungen dar, etwa die krankheitstypische Verschmälerung der Markräume, Streifung („Marmorknochen“) der langen Röhrenknochen (Oberschenkel-, Oberarmknochen) und Dreischichtung der Wirbelkörper (“Sandwich-Wirbel“).
Im Zweifelsfall verschafft eine unter örtlicher Betäubung durchgeführte Knochen- bzw. Knochenmarkpunktion zur Gewinnung einer Gewebeprobe Klarheit und erlaubt eine Beurteilung der Blutbildung. Im Blut können sich ein erniedrigter Calciumspiegel und eine Anämie zeigen. Bei der infantilen Form ist in späteren Schwangerschaftsmonaten eine vorgeburtliche Diagnostik des Erbleidens mittels Ultraschall möglich.
Osteopetrosen behandeln
Da Gendefekte für die Marmorknochenkrankheit verantwortlich zeichnen, gibt es bis dato noch keine kausale Behandlung. Deshalb beschränkt sich die Therapie bei autosomal dominant vererbten Osteopetrosen auf symptomatische Maßnahmen wie etwa die Verabreichung von Transfusionen bei einer Anämie oder die Gabe von schützenden Interferonen bei schneller Wucherung von Gewebe und Glukokortikoiden zur Hemmung entzündlicher Prozesse.
Autosomal rezessiv vererbte Osteopetrosen, die unbehandelt infolge von Blutungen, Pneumonien, einer Anämie oder Infektionen zum Tod führen, erfordern eine möglichst frühzeitige Knochenmarkstransplantation (hämatopoetische Stammzelltransplantation), um schweren Schäden vorzubeugen. Denn durch die Differenzierung funktionstüchtiger Osteoklasten aus den übertragenen Stammzellen wird eine adäquate Osteoklastenfunktion hergestellt und eine Normalisierung der Knochenstruktur erreicht. Bereits stattgefundene Schädigungen wie etwa Nervenausfälle lassen sich dadurch jedoch nicht beheben.
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Datum: 21. Oktober 2016
Kategorien: Muskeln, Knochen, Gelenke