Magersucht (Anorexia nervosa, Anorexie)

Zusammenfassung
Magersucht ist das krankhafte Bedürfnis, durch Diät-Halten Gewicht zu vermindern; dieses liegt um mindestens 15 Prozent unter dem Normalgewicht.
Beschreibung:
Anorexia nervosa ist das krankhafte Bedürfnis, durch Diät-Halten oder Vermeiden hochkalorischer Speisen das Körpergewicht zu vermindern; dieses liegt um wenigstens 15 Prozent unter dem Normalgewicht, was zu einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Unterernährung führt.
Was ist Magersucht?
Magersucht ist eine schwere psychiatrische Erkrankung, bei der die Erkrankten eine massive Gewichtsabnahme mit teils erheblichen gesundheitlichen Folgeproblemen herbeiführen.
Viele der Erkrankten leiden unter einer Körperschemastörung: Sie fühlen sich zu dick, obwohl sie untergewichtig sind. Die Gedanken der Betroffenen sind eingeengt und kreisen ständig um die Themen Gewicht und Ernährung. Am Beginn einer Anorexia nervosa kann eine Diät stehen, die außer Kontrolle gerät.
Die Essstörung tritt gehäuft zwischen dem 14. und 24. Lebensjahr auf und betrifft vorwiegend – in 90 bis 95 Prozent der Fälle – Mädchen und Frauen. Von allen psychischen Störungen hat Anorexia nervosa die höchste Sterblichkeitsrate: Pro Jahrzehnt sterben fünf Prozent der Erkrankten, z.B. aufgrund von Komplikationen (Herzstillstand, Infektionen) oder Suizid.
Unterschieden wird zwischen
- Restriktivem Typus: die Erkrankten verringern lediglich durch Diäthalten oder Vermeiden hochkalorischer Speisen die Nahrungsaufnahme.
- Binge-Purging-Typus: das Gewicht wird zusätzlich durch Maßnahmen wie Erbrechen oder die Einnahme von Appetitzüglern oder Abführmitteln verringert; es treten Heißhungeranfälle auf.
Was sind die Ursachen für Anorexia nervosa?
Für die Entwicklung einer Anorexia nervosa macht man das Zusammenwirken verschiedener Faktoren verantwortlich, u.a.
- erbliche Veranlagung,
- soziale Rahmenbedingungen (z.B. gesellschaftliches Schlankheitsideal),
- individuelle, psychische Faktoren (z.B. niedriger Selbstwert, Perfektionismus),
- bestimmte familiäre Faktoren (z.B. Leistungsdruck, strenges Elternhaus),
- schwere Traumata (z.B. sexueller Missbrauch, Misshandlung).
Was sind mögliche Folgen einer Magersucht?
Magersucht ist eine schwere psychiatrische Erkrankung. Das Untergewicht hat zum Teil lebensbedrohliche Auswirkungen auf den Organismus, wie zum Beispiel auf
- das Herzkreislaufsystem: niedriger Blutdruck, verlangsamter Herzschlag, veränderte Erregung des Herzmuskels und Herzrhythmusstörungen, die zum plötzlichen Herztod führen können.
- die Blutwerte: Blutarmut, Mangel an Leukozyten und Thrombozyten, Unterzuckerung.
- die Hormone: Aufgrund einer niedrigen Konzentration von Geschlechtshormonen kommt es bei Frauen z.B. zum Ausbleiben der Monatsblutung (Amenorrhoe) sowie zu Unfruchtbarkeit und bei Männern zum Verlust von Libido und Potenz. Speziell im Wachstum hat die hormonelle Situation außerdem Auswirkungen auf die Entwicklung: Wenn die Krankheit vor oder in der Pubertät einsetzt, beeinträchtigt dies nicht nur das Größenwachstum, auch die Geschlechtsreife tritt dann nicht oder nur verzögert ein.
Weitere hormonelle Veränderungen: eine niedrige Konzentration von Schilddrüsenhormonen sowie ein leicht erhöhter Glukokortikoid-Spiegel (chronischer Stresszustand). - die Knochen: Osteopenie, manifeste Osteoporose (Knochenschwund).
- die Zähne: wenn der Erkrankte zur Gewichtsabnahme erbricht, kann es zu Verlust von Zahnschmelz, beispielsweise durch Magensäure, kommen.
- verschiedene Organe: chronische Verstopfung, Darmträgheit, Magenkrämpfe, Blasenschwäche, Niereninsuffizienz, Nierenversagen.
Wie erfolgt die Diagnose von Anorexia nervosa?
Die Diagnose erfolgt (nach internationaler Klassifikation ICD-10) auf Basis verschiedener Untersuchungsergebnisse:
- körperliche Untersuchung,
- systematische psychiatrische Untersuchung zur Diagnosesicherung.
- Sinnvoll sind weiters Laboruntersuchungen des Blutes (typisch für Magersucht: leichte Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie, Blutzuckerspiegel im unteren Normbereich), EKG etc.
Wie wird Anorexie behandelt?
Die Heilung einer Magersucht nimmt oft lange Zeit, zumeist mehrere Jahre, in Anspruch. In keinem Fall reicht die Behandlung des Symptoms – das Wiedererlangen eines normalen Körpergewichts – aus. In allen Fällen braucht es verschiedene Behandlungsansätze, wie den psychotherapeutischen. Häufig kommen z.B. systemisch-familientherapeutische (speziell bei jugendlichen Betroffenen) sowie psychoanalytische Behandlungen zum Einsatz. Die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung soll Körperwahrnehmung und Einstellung zum Essen verändern und ist hochwirksam. Auch ein neuer Therapieansatz, der im Haptik-Forschungslabor in Leipzig entwickelt wurde, macht Hoffnung: Mittels eines Neoprenanzugs, in den die Patientinnen drei Mal täglich schlüpfen, wird die eigentliche Körpergrenze permanent simuliert, sodass sich das verzerrte Körperbild nach und nach ändert. Daneben können mit Antidepressiva Begleitstörungen einer Magersucht (z.B. Ängste, Depressionen) behandelt werden; auch beruhigende oder die Stimmung stabilisierende Neuroleptika können angezeigt sein. Ist das Untergewicht bereits lebensbedrohlich, wird eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus mit venöser Zwangsernährung notwendig. Auch tagesklinische Konzepte wären sinnvoll.
Die Versorgung ist in Österreich nicht ausreichend, da zu wenige hoch spezialisierte Einrichtungen existieren.
Weitere Informationen:
Tschiedl S., Bailer U.: Zum Kotzen. Wien 2010
Redaktion: Mag. Alexandra Wimmer
Fachliche Freigabe: Univ.-Prof. Dr. Andreas Karwautz, Facharzt für Psychiatrie, Neurologie sowie für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie und Leiter der Spezialambulanz für Essstörungen am AKH Wien
Datum: 13. Dezember 2018
Kategorien: Krankheiten