Baby-Signing: Entwicklungsvorsprung durch Babyzeichensprache?

Babys geben ihren Betreuern oft Rätsel auf, geht es darum, was sie wollen oder brauchen, denn sie verfügen noch nicht über genügend verbales Sprachvermögen. Aber sie besitzen die Fähigkeit, sich per Gesten zu verständigen, sind Verfechter der Babyzeichensprache überzeugt. Sicher ist jedenfalls: Eltern, die Baby-Signing nutzen, schenken ihrem Kind viel Zuwendung und Aufmerksamkeit –prima Voraussetzungen für eine gute Entwicklung.
Kommunikation beginnt lange schon vor dem Spracherwerb. Das wissen Eltern und Babysitter aus Erfahrung. Doch es dauert, bis die Betreuer der kleinen Erdenbürger kapieren, was die Zwerge wollen, wenn sie schauen, weinen, Laute von sich geben oder gestikulieren. Die “Großen“ stellen sich dann oft Fragen wie: „Was will das Baby wohl mit “dada“ sagen? Warum plärrt es diesmal und lässt sich nicht beruhigen?“ Die “Kleinen“ wiederum haben ihre liebe Mühe damit, Mama oder Papa ihre Wünsche und Bedürfnisse so mitzuteilen, dass sie auch verstanden und erfüllt werden. Vor solchen Herausforderungen in der Verständigung untereinander stehen täglich viele Familien. Babyzeichensprache heißt die Lösung, sagen VerfechterInnen einer Interaktionsmethode, die sich einfacher Handzeichen, die auf der jeweils landestypischen Gebärdensprache beruhen, als Ausdrucksform bedient.
Reden mit den Händen
Kommunizieren mit Gesten statt mit Worten – das ist nicht neu. Wird schon von Pantomimen und Gehörlosen praktiziert. Und funktioniert. Auch die Sonderpädagogik nutzt den bewussten Einsatz von Gebärden, um als Hilfsmittel einzelne Begriffe der Lautsprache zu untermalen. Das klappt anscheinend ebenso bei Babys, die sonst hauptsächlich durch Schreien kundtun, dass sie etwas brauchen, möchten oder nicht wollen. Oft begleitet von mehr oder minder unmissverständlichen Bewegungen, die ihr Bestreben unterstreichen, etwa indem sie z.B. ihre Ärmchen hochhalten, wenn sie auf den Arm genommen werden möchten.
Die Babyzeichensprache nützt diese bereits vor dem Spracherwerb entwickelte Form von Verständigung, indem sie sogenannte Babyzeichen parallel zur normalen Sprache einsetzt. Diese “Baby Signs“ symbolisieren Gegenstände, Tätigkeiten und Eigenschaften, denen die Kleinen im Alltag begegnen. Die Babys lernen, eine Verbindung zwischen der Bedeutung der jeweiligen Gebärde und dem Zeichen selbst herzustellen, sodass sie imstande sind, schon ab dem Alter von sechs bis neun Monaten mittels Handsignalen auszudrücken, dass sie Hunger oder Durst haben, spielen oder nach Hause wollen, eine frische Windel brauchen u.v.a.m.
Warum Baby-Signing funktioniert? Weil die Winzlinge schon sehr früh wissen, was sie sagen wollen, d.h. bereits lange bevor sie sprechen können, fähig sind, vieles zu verstehen und mitzuteilen. Da sie die Muskeln Ihrer Hände früher kontrollieren und koordinieren können als diejenigen zum Sprechen, reden sie zuerst mit dem Körper – vorzugsweise mit den Händen – und erst später mit Worten. Sie lernen die Sprache also in erster Linie handelnd und mit allen Sinnen, denn da Sprachentwicklung Nachahmung bedeutet, sind Sprache und Gestik untrennbar miteinander verbunden.
Babyzeichen: Es gibt Favoriten
In ihren ersten Lebensjahren lernen die Kinder, Objekte anhand Ihrer wesentlichen Merkmale zu unterscheiden, zum Teil indem sie sie mit dem Mund und/oder den Händen “untersuchen“. Die Eltern oder auch andere Bezugspersonen unterstützen diesen Prozess dadurch, dass sie die Dinge immer wieder benennen und die Kleinen berichtigen, wenn diese sie nicht korrekt bezeichnen.
Schon ab dem Alter von sechs bis neun Monaten sind Babys daher fähig, einfache Wörter wie “mehr“ oder “Milch“ zu verstehen und durch Baby Signs zu kommunizieren. Das erste Zeichen formen sie im Durchschnitt mit rund zehn Monaten, zeigen Untersuchungen. Wie sich die Babyzeichen gestalten, hängt von der Geografie ab, denn das Baby-Signing basiert auf den jeweils landesüblichen, aber vereinfachten Gebärden für Gehörlose. Die am häufigsten gezeigten ersten Gebärden sind Milch, mehr/noch mal, Lampe/Licht, winke-winke, wo, Musik, Baum, Vogel, essen, trinken, bitte-bitte, Ente, Schnuller und arbeiten. Das unterscheidet sich von den ersten Worten, die Kinder sprechen, bei denen die Begriffe Mama, Papa, nein, da und Tierlaute wie z.B. wauwau oder muh im Vordergrund stehen.
Vorteile jetzt und später
BefürworterInnen der Babyzeichensprache führen als Benefits der Methode an, dass sich die Kinder verstanden fühlen und daher wesentlich zufriedener sind, weil mehr auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird, was sich in einem deutlichen Rückgang von Geschrei und Wutanfällen zeigen soll. Beide Seiten – Babys und Betreuer – haben weniger Frust, weil sie sich mit Hilfe der Zwergensprache austauschen können – und das auf vergnügliche Weise. Das vereinfacht für alle Beteiligten den Alltag.
Der Gebrauch von Gebärden zur Übermittlung von Wünschen und Interessen, die auf der natürlichen kindlichen Gestik (z.B. Zeigegesten, nach Dingen greifen, Gegenstände entgegenstrecken) aufbauen, fördert die Ausdrucksfähigkeit der Kleinen. Die Verwendung von Babyzeichen für Gegenstände oder Ereignisse hilft den Kindern beim Lernen und Strukturieren der Welt. Es fällt ihnen damit leichter, Dinge zu benennen, deren Namen sie noch nicht aussprechen können. Gleichzeitig unterstützt positives, weil erfolgreiches nonverbales Verstehen, Verstanden werden und etwas bewirken können – nebst der Selbstwahrnehmung, dem Selbstvertrauen und der Bindung zu den (Zeichen-) Gesprächspartnern – die Sprachentwicklung.
So zeigen etwa – allerdings nicht unumstrittene – amerikanische Forschungen, dass durch die Babyzeichensprache der Spracherwerb sehr erleichtert werden soll – sowohl hinsichtlich der rezeptiven (wie viel Wörter verstanden werden) als auch expressiven Sprachentwicklung (wie viel Worte gesprochen werden können). Der Zwergensprache kundige Babys verstehen und sprechen nicht nur früher Wörter, sie haben auch die Nase vorn, geht es darum, Wörter zu kombinieren. Zudem sollen sie ein anspruchsvolleres Spielen zeigen. Und dann im Schulalter einen deutlich umfangreicheren Wortschatz, überdurchschnittliche Lese- und Schreibfertigkeiten sowie ein verstärktes Interesse an Büchern.
Das Baby-Signing steht bei seinen Anhängern im Ruf, die Gehirnentwicklung von Babys zu fördern, da sowohl die rechte als auch die linke Hirnhälfte aktiviert werden – die eine durch den visuellen (das Sehen betreffenden) Reiz der Gebärde, die andere durch die akustische (das Hören betreffende) Stimulation der Lautsprache. Diese Kombination von akustischen und visuellen Reizen soll mehr Verbindungen im Gehirn entstehen lassen, was die allgemeine Lernfähigkeit auch auf anderen Gebieten erhöhen soll.
Jedenfalls steht – wie bildgebende Verfahren zeigen – fest, dass Handbewegungen und Sprache im Gehirn ähnlich verarbeitet werden, was ein Hinweis auf ein sogenanntes “Embodiment“ sein könnte. Das bedeutet, kognitive Fähigkeiten wie etwa Sprache entwickeln sich aus Körpererfahrungen, die im Gehirn repräsentiert sind. Diese Theorie stützen Beobachtungen, dass schon früh ein Zusammenspiel von Hand- und Mundbewegungen stattfindet, d.h. Babys ab dem sechsten Lebensmonat damit beginnen, rhythmische Bewegungen der Arme und Hände auszuführen und gleichzeitig Sprechlaute (“Brabbeln“) von sich geben, die häufig mit diesem Rhythmus übereinstimmen. Da Babyzeichen durch Bewegungen der Hände und Arme dargestellt werden, optimieren sie zudem die motorischen Fertigkeiten von Babys.
Hilfreiche Unterstützung oder nutzloser Frühförderwahn?
Klar ist: Je mehr der Nachwuchs im wahrsten Sinn des Wortes angesprochen wird, desto mehr wird er zum Sprechen lernen animiert. Verwenden Eltern auch noch Babyzeichen, wenn sie mit ihrem Kind sprechen, schenken sie ihm viel Aufmerksamkeit – eine wichtige Voraussetzung für eine gute Entwicklung diverser Fähigkeiten. Ob die beim Baby-Signing doppelte Kommunikation – mit Worten und mit Gesten – dabei tatsächlich einen entwicklungstechnischen Vorsprung gewährleistet oder vielleicht nur einem ehrgeizigen elterlichen Streben nach (übertriebener?) Frühförderung entspricht, darüber scheiden sich die Geister. Vielleicht stellt sie nur eine Form von einfühlsamerer Betreuung der Kleinen dar. Jedenfalls aber schadet die Babyzeichensprache – ohne übermäßigen Lerndruck betrieben – Kindern nicht. Und sie lernen durch die Verständigung über Gebärden auch nicht erst verspätet das Sprechen, wie von manchen Erwachsenen befürchtet wird, weil die Zeichen nicht Wörter ersetzen, sondern unterstützen.
Weiter führende Links:
Baby-Signing in Österreich
Sprechende Hände
Österreichische Gebärdensprache
Überblick Kindesentwicklung
Überblick Babyentwicklung
Verwandter Ratgeber:
Kindliche Entwicklungsstörung: Handicaps fürs Leben
Datum: 9. September 2015
Kategorien: Kindergesundheit