Schlafkrankheit: böses Souvenir aus Afrika
Safariparks gehören zu den beliebten Zielen von Afrika-Reisenden, die hoffen, viele dort heimische Tiere wie z.B. Löwen anzutreffen. Wem die Touristen dort – unfreiwillig –auch begegnen können, sind Tsetse-Fliegen. Sie sind potenzielle Überträger der gefährlichen Schlafkrankheit.
Zur üblichen Insektenpopulation in tropischen Zonen vieler afrikanischer Länder gehören Tsetse-Fliegen. Die tagaktiven Tiere fühlen sich in Feuchtgebieten (Sümpfe, Flussläufe) wohl, besiedeln aber auch gerne Savannengegenden und sind deshalb in Safariparks zu finden. Die unseren Bremsen ähnlichen Insekten fühlen sich von beweglichen Objekten, also auch Fahrzeugen, angezogen. Sind deren Fenster geöffnet, finden sie darin ihre Stechopfer.
Beherbergen die Fliegen Trypanosomen, übertragen sie diese beim Stich über ihren Speichel. Je nach geographischer Region handelt es sich dabei um unterschiedliche Arten der Einzeller. Westafrika ist die Heimat von Trypanosoma brucei gambiense, Ostafrika die von Trypanosoma brucei rhodesiense. Beide Blutparasiten sind Erreger der afrikanischen Trypanosomiasis, auch genannt (afrikanische) Schlafkrankheit. Als ihr Erregerreservoir fungieren für die westafrikanische Form der Trypanosomiasis Menschen, für die ostafrikanische Haus- (z.B. Rinder, Ziegen, Schweine) und Wildtiere (z.B. Antilopen). Neben der bevorzugten Art der Verbreitung der Infektion per Fliegen kommen als weitere Übertragungswege die von Schwangeren auf ihr Ungeborenes und solche via Bluttransfusionen in Betracht.
Erreger bestimmt den Krankheitsverlauf
Löst Trypanosoma brucei gambiense die Schlafkrankheit aus, verläuft sie eher langsam. Trypanosoma brucei rhodesiense führt zu einer wesentlich schnelleren und ausgeprägteren Infektion. Die Erkrankung umfasst zwei Stadien:
- die hämolymphatische Phase, bei der in den ersten Wochen nach der Infektion an der Einstichstelle ein sogenannter “Trypanosomenschanker“, eine schmerzhafte und gerötete Schwellung mit einem Bläschen im Zentrum, entstehen kann, aber nicht muss. Die Parasiten breiten sich innerhalb dieser Zeit in der Blutbahn aus (Parasitämie), was Symptome wie Fieber, Schüttelfrost, Schweißausbrüche, Kopf- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit, Ödeme (Wasseransammlungen im Gewebe), Lymphknotenschwellungen (v.a. im Nacken = “Winterbottom-Zeichen“), eine Hepatosplenomegalie (Leber- und Milzvergrößerung) und einen juckenden Hautausschlag hervorruft. Begleitend entwickeln sich eine Anämie (Blutarmut), eine Thrombozytopenie (verminderte Blutplättchenzahl) sowie ein erhöhter IgM-Spiegel (Antikörper bei erstmaligem Erregerkontakt).
- die meningoenzephalitische Phase: Sie tritt etwa vier bis sechs Monate nach der Infektion mit Trypanosoma brucei gambiense, bei einer Ansteckung mit Trypanosoma brucei rhodesiense oft schon nach wenigen Wochen ein. Dann, wenn die Keime ins zentrale Nervensystem vorgedrungen sind. Typische Symptome dafür sind Verwirrungszustände, Koordinations-, Konzentrations- und Schlafstörungen, Persönlichkeitsveränderungen (z.B. starke Reizbarkeit), Apathie (Teilnahmslosigkeit), ein Unvermögen, Nahrung aufzunehmen und damit ein Gewichtsverlust. Es kann auch zu Bewegungsstörungen, Parkinson ähnlichen Zuständen, Muskelzittern, Krämpfen und potenziell tödlichen Herzschäden kommen. Unbehandelt mündet die Krankheit in ein zunehmendes Schlafbedürfnis und schließlich einen dauerhaften Dämmerzustand, was ihr die Bezeichnung Schlafkrankheit eingebracht hat.
Die deutlich seltenere ostafrikanische Form der Trypanosomiasis ist – unbehandelt – mit einer Lebenserwartung von weniger als einem Jahr nach der Infektion verbunden. Die westafrikanische Variante kann sich über Jahre hinziehen.
Trypanosomen tricksen das Immunsystem aus
Dass sich die körpereigene Abwehr mit der Bekämpfung der Parasiten schwer tut, liegt an deren Struktur. Denn an der Oberfläche der Trypanosomen sitzt ein Eiweißstoff (variable surface glycoprotein, VSG), der sich im Rahmen ihrer Vermehrung – genetisch festgelegt – ständig verändert, was Immunologen als Antigenvariation bezeichnen. Produziert das menschliche Immunsystem Antikörper gegen die gerade vorherrschende Proteinvariante, kann es damit immer nur einen Teil der Erreger eliminieren, denn diese Antikörper können gegen andere Spielarten der Eiweißstoffe, die auch im Blut zirkulieren, nichts ausrichten. Zudem drehen die Trypanosomen den Spieß um: Mit ununterbrochenen Schwimmbewegungen ihrer Zellfortsätze bewegen sie die VSG-Antiköper-Komplexe in Richtung ihres hinteren Zellpols, wo dann sie die Antikörper “fressen“ (Endozytose).
Lebenswichtig: Früherkennung
Kommt es im ersten Stadium nicht zur Ausbildung eines Trypanosomenschankers, sind die anderen Symptome wenig krankheitstypisch, sodass es schwierig sein kann, sie richtig zuzuordnen. Besteht in dieser Phase der Verdacht auf eine Trypanosomiasis, sind die Parasiten mikroskopisch im Blut (“dicker Tropfen“) oder in einer Biopsie (Gewebeprobe) aus einem Lymphknoten nachweisbar. Im zweiten Stadium erfolgt zur Diagnostik der Infektion zusätzlich eine Lumbalpunktion mit Untersuchung des Liquors (Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit). Auch immundiagnostische (z.B. ELISA) Verfahren sowie ein direkter Erregernachweis per PCR dienen der Erkennung einer stattgehabten Infektion.
Therapie
Therapieerfolg und Überlebenschancen hängen außer von der Früherkennung der Infektion vom rechtzeitigen Einsetzen einer adäquaten Behandlung ab. Beginnt sie erst im zweiten Krankheitsstadium, bestehen oft schon bleibende neurologische Schäden, die auch nach einer erfolgreichen Behandlung andauern.
Für die Therapie der afrikanischen Trypanosomiasis stehen eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung, die jedoch allesamt mit erheblichen Nebenwirkungen behaftet sind, sodass die Behandlung der Infektion zumeist stationär erfolgt. So kommen etwa im meningoenzephalitischen Stadium zum Teil Arsenverbindungen (z.B. Melarsoprol) zum Einsatz, die ototoxisch (das Gehör schädigend) und neurotoxisch (das Gehirn schädigend) wirken und so zum Tod führen können. Ein gängiges, von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) empfohlenes medikamentöses Therapieschema ist NECT, eine Kombination der Wirkstoffe Nifurtimox und Eflornitin.
In der hämolymphatischen Phase kommen Antiparasitika (z.B. Suramin, Pentamidin) zum Einsatz, die die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können und deshalb nicht für die Therapie in der meningoenzephalitischen Phase taugen. Nichtsdestoweniger können auch sie ernste unerwünschte Wirkungen verursachen wie z.B. Nierenschäden, einen bedrohlichen Kaliumanstieg im Blut (mögliche Folge: Herzrhythmusstörungen) oder Störungen im Zuckerstoffwechsel bis hin zu einem Diabetes.
Vorbeugung
Auch wenn die Infektion behandelbar ist, die potenziell eintretenden unerfreulichen Nebenwirkungen der dazu verwendeten Arzneien lässt es ratsam erscheinen, der Vorbeugung einer Trypanosomiasis den Vorzug zu geben. Der sicherste Schutz vor der Schlafkrankheit wäre natürlich, nicht in die Länder zu reisen, die zu ihren Verbreitungsgebieten zählen. Wer das nicht kann oder will, muss sich mit Methoden zur Abwehr der krankheitsübertragenden Tsetse-Fliegen begnügen. Denn leider gibt es bis dato keine Impfung gegen die Schlafkrankheit. Daher beschränkt sich die Prophylaxe auf die Verhinderung von Mückenstichen durch
- das Tragen langärmeliger und –beiniger, dichter und heller Kleidung, wobei diese Maßnahme nicht in jedem Fall Erfolg verspricht, da die forsch zustechenden Tsetse-Fliegen meistens eine ungeschützte Stelle am Körper finden. Blau oder schwarz – allein oder in Kombination – scheinen Farben zu sein, die die Fliegen anziehen und eignen sich daher nicht für die Kleidung.
- das Auftragen von Repellents (Insektenschutzmitteln) auf die Haut
- das Anbringen von Moskitonetzen und Fenstergittern
- die Vermeidung von Fahrten in offenen Autos (Fahrzeugtüren und –fenster möglichst geschlossen halten)
- das Versprühen von Insektenspray in Fahrzeugen und Räumen
Grundsätzlich wäre eine zusätzliche Chemoprophylaxe (medikamentöse Vorbeugung) mit Suramin oder Pentamidin möglich, sollte jedoch aufgrund der drohenden Nebenwirkungen sehr genau überlegt werden und ist für Normalreisende auch nicht erforderlich.
Ein anderer Ansatz, dem Problem Schlafkrankheit Herr zu werden, ist die Bekämpfung der Überträger selbst, z.B. mit Insektiziden oder dem Einfangen der Fliegen mit Lichtfallen. Oder einem – übrigens in Österreich entwickelten – umweltverträglichen Verfahren, das die Vermehrung der Insekten verhindert, indem die männlichen Larven der Fliege mittels radioaktiver Strahlung sterilisiert und in den Verbreitungsgebieten der Schlafkrankheit verteilt werden.
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Datum: 24. September 2014
Kategorien: Infektionen & Viren