Pocken: Schrecken der Vergangenheit

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Pocken galten jahrhundertelang als Geisel der Menschheit, rafften Teile der Bevölkerung dahin und sind auch heute noch nicht heilbar. Aber verhinderbar. Dank der Pockenimpfung, die früher Pflicht war. Heute gilt die Erkrankung als ausgerottet. Impfstoffe dagegen gibt es immer noch. Aus gutem Grund.

Pocken gelten als Beweis, dass Hygienemaßnahmen und Impfungen imstande sind, eine Krankheit auszurotten. Die meldepflichtige, hochansteckende Infektionskrankheit kennt man aber heute noch, auch wenn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Welt 1980 für pockenfrei erklärt hat. Warum? Weil sie über Jahrtausende hinweg bis ins letzte Jahrhundert hinein epidemieartig (Epidemie: räumlich und zeitlich gehäuftes Auftreten einer Infektion) viele Menschen heimgesucht und zahlreiche Todesfälle verursacht hat. Daher stehen auch jetzt noch – vorsorglich – Impfstoffe bereit.

Auslöser: große Viren

Verursacher von Pocken (Variola, veraltet: Blattern) sind Viren aus der Familie der Poxviridae. Hiervon für den Menschen interessant sind hauptsächlich zwei Untergruppen, die Parapoxviren und die Orthopoxviren. In letzterer findet sich der Orthopoxvirus variola, Auslöser der echten Pocken, und der Orthopoxvirus alastrim, Auslöser der harmloseren weißen Pocken.

Die ziegelsteinförmigen, hoch komplexen Pockenviren mit ihrer recht widerstandsfähigen Eiweißhülle sind bis zu 450 nm groß und damit unter dem Lichtmikroskop sichtbar. Sie verbreiten sich sowohl über Tröpfcheninfektion (Sekrettröpfchen in der Luft, z.B. beim Sprechen, Niesen oder Husten) als auch – seltener – über Schmierinfektion (über infizierte Gegenstände, z.B. Bettwäsche, Kleidung, Türklinken etc.). Mit einer Inkubationszeit (Zeitspanne zwischen der Ansteckung und dem Ausbruch der ersten Krankheitssymptome) von sieben bis 19 Tagen.

Typische Hautsymptome

Echte Pocken (Variola vera, Variola major; lat.: varia = verschieden, bunt) machen sich zunächst wenige Tage lang mit uncharakteristischen Symptomen wie hohes Fieber, Abgeschlagenheit, Kopf-, Rücken- oder Gliederschmerzen und Atemwegsentzündungen bemerkbar. Begleitet von einem Exanthem (Hautausschlag), das meist mit kleinen roten Punkten auf Zunge und Rachen beginnt und recht rasch wieder verschwindet, aber hochansteckend ist.

Dann sinkt vorübergehend das Fieber und es folgt der für Pocken typische vielgestaltige und stadienhaft ablaufende Hautauschlag, der zuerst das Gesicht, dann die Extremitäten und letztlich den ganzen Körper befällt. Er besteht aus blass-roten, juckenden Flecken, aus denen sich mit virenhaltiger Flüssigkeit gefüllte Papeln (runde bis ovale Knötchen) entwickeln, die später zu Pusteln (Eiterbläschen) werden, die allmählich verkrusten und verschorfen und – verbunden mit starkem Juckreiz – schließlich abfallen. Während diese Hautveränderungen ablaufen, steigt das Fieber wieder treppenförmig an, vergesellschaftet mit Desorientierung und Verwirrtheitszuständen bis hin zu Delirien und Wahnvorstellungen. Die Ansteckungsgefahr endet, wenn der Hautausschlag völlig abgeheilt ist. Zurück bleiben – v.a. im Gesicht – die sprichwörtlichen Pockennarben, dadurch bedingte Entstellungen, manchmal auch eine Erblindung, Taubheit, Lähmungen oder Hirnschädigungen. Wer die Pocken überlebt, ist lebenslang vor einer erneuten Erkrankung geschützt.

Von den echten Pocken gibt es eine als schwarze Pocken oder schwarze Blattern (Variola haemorrhagica) bezeichnete besonders schwere Verlaufsform, bei der es innerhalb von wenigen Tagen zu ausgedehnten, schweren Blutungen in die Haut (dadurch blauschwarze Verfärbung der Pusteln), Schleimhäute und inneren Organe und damit häufig zum Tod – oft schon innerhalb der ersten 48 Stunden – kommt.

Weiße Pocken (weiße Blattern, Variola minor, Milchpocken) zeigen weniger deutliche Hautsymptome, sind weniger gefährlich als die echten Pocken und enden nur sehr selten tödlich. Durchgemachte weiße Blattern schützen nicht vor einer Infektion mit dem Erreger der echten Pocken.

Die Papeln und Pusteln gelten als untrügliches Kennzeichen der Krankheit, auch wenn man Variola-Viren, entnommen aus Pusteln oder Schleimhautveränderungen, grundsätzlich in einem mikroskopischen Viren-Schnelltest (ohne Unterscheidungsmöglichkeit zwischen echten und weißen Pocken) erkennen kann. Innerhalb der ersten drei bis vier Tage der Erkrankung lassen sich die Viren auch im Blut nachweisen, danach Antikörper gegen das Variola-Virus.

Nur symptomatische Therapie möglich

Gegen Pocken existiert bis dato keine ursächliche Therapie. Lediglich die Symptome der Infektion lassen sich lindern, etwa der Temperaturanstieg mit fiebersenkenden Mitteln (Antipyretika) oder die Hautveränderungen durch Betupfen und Bäder mit einer kaliumpermanganathaltigen Lösung. Zwecks Desinfektion der Mundschleimhaut finden Mundspülungen mit Chlorhexidin- oder Wasserstoffperoxid-Lösungen Anwendung, zu ihrem Schutz Lösungen mit Dexpanthenol. Abgesehen davon ist aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr die Einhaltung einer strengen Quarantäne (räumliche Trennung von anderen Menschen, um deren Ansteckung zu vermeiden) inklusive strikter Hygiene (Desinfektion der Wohnräume, Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände des Erkrankten) notwendig und weil die Krankheit energiezehrend verläuft, absolute Bettruhe, reichlich Flüssigkeitszufuhr und eine leichte, aber hyperkalorische Ernährung (40 bis 50 kcal/kg Körpergewicht). Pfropfen sich auf die Hautveränderungen bakterielle Infektionen auf, sind Breitspektrumantibiotika angesagt.

Erfolgsgeschichte Pockenimpfung

Die Pocken zählten jahrhundertelang zu den verheerendsten Seuchen der Menschheit. Selbst in den 1950er-Jahren noch registrierte man rund um den Globus etwa 50 Millionen Pockenfälle pro Jahr. 1967 (bis zu 15 Millionen registrierte Pockenfälle) wurde auf Beschluss der WHO weltweit die Pockenimpfung eingeführt – und bereitete schließlich dem Spuk ein Ende. Der letzte Pockenfall wurde 1977 in Somalia registriert. Seither ist die Infektion nicht neuerlich aufgetreten, die WHO erklärte die Welt 1980 für pockenfrei und die Impfpflicht fiel. Heute existieren offiziell nur noch zwei Laboratorien, in denen Pockenviren zu Forschungszwecken aufbewahrt werden, das Forschungszentrum des Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta (Georgia, USA) und das Staatliche Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie (VECTOR) in Kolzowo bei Nowosibirsk in Russland.

Die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts praktizierte Pockenimpfung erfolgte – basierend auf der Entdeckung des Engländers Edward Jenner, dass Menschen, die sich bei Rindern mit Kuhpocken (v.a. bei Rindern auftretende mildere Pockenform) angesteckt hatten, anschließend immun gegen die humanen Pocken waren – mit dem Erreger der Kuhpocken (Orthopoxvirus bovis). Einmal vor Vollendung des zweiten Lebensjahrs und ein zweites Mal im zwölften Lebensjahr. Sie war mit einer Hautreaktion an der Impfstelle verbunden: Innerhalb von drei bis vier Tagen nach der Impfung bildete sich eine juckende, rötliche, bei direktem Kontakt ansteckende Beule, die möglichst nicht berührt werden sollte oder andernfalls eine Händedesinfektion erforderte, um die Viren nicht zu verschleppen, z.B. an andere Körperstellen (z.B. Augen: Erblindungsgefahr). Die Beule ging in eine eitrige Pustel oder Blase und nach zwei bis drei Wochen in einen abheilenden Schorf, über, bis nur noch eine kleine Narbe zurückblieb. Da die Pockenimpfung alle fünf bis zehn Jahre eine Auffrischung notwendig machen würde, genießen ehemals Geimpfte heute vermutlich kaum noch Impfschutz gegen die Erkrankung.

Auch wenn derzeit keine Pockenepidemien zu befürchten sind, existieren dennoch weltweit – übrigens neuartige (angeblich verträglichere) – Pockenimpfstoffe. Als Gegenmaßnahme für den Fall, dass Pockenviren – etwa im Rahmen terroristischer Anschläge – als unerlaubte Biowaffen missbraucht werden.