Kinderlähmung: besiegbare Virusinfektion

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Lähmungen sind zwar keine zwangsläufige Folge der Poliomyelitis (Kinderlähmung), doch wenn sie auftreten, kann es gefährlich werden. Deshalb wurde die Erkrankung in den letzten Jahrzehnten mittels Impfprogrammen in weiten Teilen der Welt ausgerottet. Von der Weiterführung dieser Impfaktionen versprechen sich die Gesundheitsbehörden ein gänzliches Verschwinden der Infektion.

Die Kinderlähmung (Poliomyelitis, Polio, Spinale Kinderlähmung, Poliomyelitis epidemica anterior acuta, Infantile Zerebralparese, Heine-Medin-Krankheit), eine hochinfektiöse und hierzulande meldepflichtige Viruserkrankung, trifft nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor allem Kinder unter fünf Jahren. Sie geht in der Mehrzahl der Fälle ohne Symptome oder mit solchen ähnlich einer Grippe einher. Viel seltener kommt es danach zu den gefürchteten Lähmungen, die der Krankheit den Namen gegeben haben. Noch seltener führt die Poliomyelitis zum Tod.

Zum Glück haben inzwischen weltweite Impfprogramme (“global eradication program“) dafür gesorgt, dass die Infektion zumindest in den Industrieländern kaum noch auftritt. Da die ansteckende Krankheit aber noch nicht vollständig ausgerottet ist, sollte man ihr auch heute noch vorbeugen.

Kleine Viren – große Wirkung

Auslöser der Kinderlähmung sind die zur Gruppe der Entero- bzw. “Picorna“-Viren (pico = klein, RNA) zählenden Polioviren, von denen es drei Serotypen gibt. Sie befallen bevorzugt die für die Kontrolle der Muskulatur zuständigen motorischen Nervenzellen im Rückenmark. Übertragen werden die Viren per Tröpfcheninfektion oder – häufiger – Schmierinfektion (Kontaktinfektion mit infektiösem Material wie Stuhl, Blut, Eiter usw.). Infizierte können bereits kurz nach ihrem eigenen Viruskontakt ansteckend sein – und das etwa drei bis sechs Wochen (Inkubationszeit: rund drei bis 35 Tage lang bleiben.

Symptome der Kinderlähmung

Häufig verläuft eine Poliomyelitis inapparent (symptomlos) bis abortiv (symptomarm). Wenn überhaupt, zeigen sich sieben bis 14 Tage nach der Infektion, wenn sich die Polioviren im Blut ausbreiten, unspezifische Krankheitszeichen wie Fieber, Kopf-, Glieder- und Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, ev. auch Durchfall. Alles Beschwerden, die gern an eine Grippe denken lassen. Meistens ist damit die Polio auch schon ausgestanden.

In maximal zehn Prozent aller Fälle aber schließt sich nach einem beschwerdefreien Intervall (Latenzstadium) von rund einer Woche eine zweite Krankheitsphase an, weil die Viren ins zentrale Nervensystem eindringen und eine Hirnhautentzündung auslösen (meningitisches Stadium). Typische Symptome dieses Krankheitsstadiums sind hohes Fieber, Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen und eine Nackensteife.

Die Meningitis muss nicht, aber kann motorische Störungen bis hin zu Muskellähmungen nach sich ziehen (paretisches Stadium). Muskel- und Rückenschmerzen, asymmetrische schlaffe Lähmungen vorwiegend an den Beinen, seltener an den Armen, Schultern oder am Nacken. Inklusive Muskelschwund, Beinverkürzungen oder Versteifungen, aufgehobenen Haut- und Sehnenreflexen, blauen, kalten Extremitäten, aber ohne Gefühlsstörungen.

Selten entwickelt sich auch eine bedrohliche Entzündung der basalen Hirnregionen mit Lähmungen der Hirnnerven, die für den Schluckvorgang sowie die Atmungs- und Kreislaufregulationen zuständig sind. Bewusstseinsstörungen, Krämpfe, ein Tremor, Schluckauf oder Schock können vorkommen. Treten erst einmal Lähmungserscheinungen (Bulbärparalyse) auf, kann die Polio tödlich enden.

Die Kinderlähmung kann Residualschäden wie Restlähmungen unterschiedlichen Ausmaßes, trophische und vasomotorische Störungen und Skelettveränderungen (Fußdeformierungen, Kontrakturen, Schlottergelenk, Skoliose, zurückbleibendes Knochenwachstums einzelner Extremitäten) hinterlassen. Oder es entwickelt sich ein sogenanntes Postpoliomyelitisches Syndrom (Post-Polio-Syndrom), eine Spätfolge der Infektion ungeklärter Ursache, bei dem sich nach einem – oft jahrzehntelangen – beschwerdefreien Zeitraum Symptome wie Schmerzen, eine Muskelschwäche (auch in zuvor nicht betroffenen Muskelgruppen), schnelle Ermüdbarkeit und ein Muskelschwund einstellen.

Verharmlosen sollte man die Infektion aber bereits in ihrer allerersten Phase nicht, denn in dieser können Belastungen wie etwa körperliche Anstrengungen, Impfungen, Wunden etc. Lähmungserscheinungen auslösen.

Eine Poliomyelitis erkennen

Bestehende Symptome, der typische Fieberverlauf und eine Prüfung auf Nackensteife lenken den Verdacht auf das Vorliegen einer Kinderlähmung. Erhärtet durch einen Erregernachweis aus einer Stuhlprobe, einem Rachenabstrich oder der per Lumbalpunktion gewonnenen Rückenmarksflüssigkeit bzw. per PCR (gentechnischer Virusnachweis). Auch Antikörper gegen das Virus sind nach einiger Zeit im Blut nachweisbar.

Eine Poliomyelitis behandeln

Bislang ist keine ursächliche (Erregerbekämpfung), sondern nur eine symptomatische Behandlung (Beschwerdelinderung, z.B. Schmerzbekämpfung, Krankengymnastik, ggf. Beatmung) möglich. Jedenfalls ist – auch schon bei leisestem Verdacht auf Kinderlähmung – strenge Bettruhe angesagt. Treten Lähmungserscheinungen auf, ist die Aufnahme in ein Spital mit Intensivstation erforderlich, da es u.U. zur Schluck- und Atemlähmung kommen kann.

Der Kinderlähmung vorbeugen

Zur Vorbeugung einer Kinderlähmung stehen wirksame Impfstoffe (Salk-Stich-Impfstoff), die drei Poliovirusstämme (Mahoney, Mef1 und Saukett) in abgetöteter Form enthalten, zur Verfügung. Hält man sich an die Impfempfehlungen, erfolgt die Grundimmunisierung im 3., 5. und 12. Lebensmonat, die erste Auffrischungsimpfung im Volksschulalter und jede weitere Auffrischung alle zehn, ab dem 60. Lebensjahr alle fünf Jahre. Zumindest wenn Reisen in Gebiete erfolgen, wo Kinderlähmung noch existiert (Asien, Afrika) – zum Eigenschutz und Verhinderung einer Einschleppung der Krankheit. Denn auch wenn es in Österreich seit Jahrzehnten keine Kinderlähmung mehr gibt, wird ihr Wiederauftreten durch nachlassende Impfbereitschaft befürchtet.

Früher gab es auch eine Schluckimpfung (Sabin-Impfstoff) mit inaktivierten, lebenden Viren gegen Polio, die nicht mehr zur Anwendung kommt, weil sich daraufhin – selten, aber doch – eine Art “Impf-Kinderlähmung“ entwickelt hat.