Arteriitis temporalis: wenn “der Kopf zerspringt“

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Erstmalig auftretende bohrende Kopfschmerzen an den Schläfen, dazu Sehstörungen und ein Alter von über 50 Jahren – das spricht für eine Arteriitis temporalis. Sie muss rasch behandelt werden. Sonst droht eine Erblindung und andere Unannehmlichkeiten. 

Auch Blutgefäße können sich entzünden. Dann spricht man von einer Vaskulitis (Angiitis), wie sie etwa im Rahmen entzündlich-rheumatischer Erkrankungen (z.B. Wegener’schen Granulomatose, mikroskopische Polyangiitis, Panarteriitis nodosa etc.) entsteht. Dazu gehört auch die Arteriitis temporalis, die speziell größere Arterien im Versorgungsbereich der äußeren Halsschlagader (Arteria carotis externa) und damit – wie der Name bereits vermuten lässt – meist die Schläfenarterie (Arteria temporalis) befällt, was sich unter anderem in pochenden Kopfschmerzen in der Schläfenregion äußert. Das Leiden zeigt Zusammenhänge zur Polymyalgia rheumatica bzw. Riesenzellarteriitis: Einige Wissenschaftler sehen sie und die Arteriitis temporalis als eigenständige Erkrankungen, die sich eben nur schwer voneinander abgrenzen lassen. Andere betrachten sie als verschiedene Stadien ein- und derselben Krankheit.

Wie eine Arteriitis temporalis entsteht

Autoimmunologische Prozesse zeichnen verantwortlich für die Entstehung der Arteriitis temporalis (Arteriitis temporalis Horton, Horton’sche Riesenzellarteriitis, Horton-Arteriitis, Morbus Horton, Horton-Magath-Brown-Syndrom). Das bedeutet: Das Abwehrsystem des Organismus richtet sich gegen körpereigenes Gewebe. Warum es das tut, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Vorstellbar ist, dass z.B. Alterungsprozesse oder längere UV-Bestrahlungen Veränderungen in der Struktur der Gefäßwand bewirken, die das Immunsystem daher als fremd und damit zu bekämpfen einstuft. Das drückt sich in einer Entzündung der Arterie mit Bildung von Granulomen (knötchenförmige Gewebsneubildungen) aus, die oft Riesenzellen (stark vergrößerte Zellen mit mehreren Kernen) enthalten (daher auch “Riesenzellarteriitis“). Die Knoten engen fortschreitend die Gefäßlichtung ein, was zu einer verminderten Durchblutung des von der Arterie versorgten Gebietes führt und schlimmstenfalls in einem kompletten Gefäßverschluss gipfelt.

Auch genetische und geographische Komponenten dürften beim Morbus Horton mitspielen, da die Erkrankung einerseits familiär gehäuft auftritt und andererseits in Skandinavien öfter anzutreffen ist. Wobei es anscheinend einen – bislang unbekannten – Auslöser braucht, der zum Ausbruch der Erkrankung führt. Laut Studien gelten als Risikofaktoren ein aktueller oder früherer Nikotinabusus, Untergewicht und bei Frauen ein Eintritt der Menopause vor dem 43. Lebensjahr (Östrogenmangel?). Diskutiert wird zudem ein möglicher Einfluss von bakteriellen oder viralen Infektionen auf das Auftreten der Gefäßentzündung, etwa durch Borrelien, Grippe- oder Hepatitis-B-Viren.

Von der Gefäßwandentzündung befallen werden jedenfalls vorwiegend Menschen ab dem 50. Lebensjahr und zwar in der Mehrzahl Frauen. Die Erkrankung manifestiert sich hauptsächlich an den Gefäßen im Kopfbereich und da vor allem an den Arterien der Schläfe und der Augenhöhle.

Symptome einer Arteriitis temporalis

Eine Arteriitis temporalis macht sich am häufigsten durch starke, anhaltende und pulsierende Kopfschmerzen über einer oder beiden Schläfenarterien, die in Richtung Ohr und Stirn ausstrahlen, bemerkbar. Die befallenen Gefäße sind meist druckempfindlich, knötchenförmig verdickt, verhärtet, teils pulslos und mitunter als geröteter Strang zu erkennen. Recht oft stellen sich auch Schmerzen im Musculus masseter (Kaumuskel) beim Kauen oder auch Zungenschmerzen ein. Ebenso kann es zu einer Berührungs- und Druckempfindlichkeit des Kopfes kommen.

Typisch sind zudem Beschwerden wie

  • Augenschmerzen und infolge der Minderdurchblutung der Sehnervenpapille/Netzhaut Sehstörungen wie Verschwommensehen, Doppelbilder oder eine Visusminderung (Einschränkung der Sehkraft), die unbehandelt in eine Erblindung münden können
  • Fieber
  • ein allgemeines Krankheitsgefühl, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust oder auch Nachtschweiß

Abgesehen davon können sich Symptome entwickeln wie

  • eine Morgensteifigkeit und arthritische Schmerzen, flüchtige Gelenkknorpelentzündungen, besonders an den Schulter-, Sternoklavikular- und Kniegelenken, Schwellungen der Hände und Muskelschmerzen
  • Atemwegsprobleme wie ein trockener Husten, Erstickungsgefühl oder Halsschmerzen
  • bei Mitbeteiligung großer Arterien eine Claudicatio intermittens oder ein Aortenaneurysma
  • eine Mononeuritis multiplex: Entzündung mehrerer Nerven, besonders solcher des Plexus brachialis (Armgeflecht)
  • eine TIA (transitorisch ischämische Attacke, d.h. vorübergehende Durchblutungsstörung im Gehirn, die als Vorbote eines Schlaganfalls gilt) oder ein Schlaganfall
  • psychische Veränderungen wie Halluzinationen, Depressionen oder demenzielle Zeichen
  • tumorartige Läsionen, Brustknoten oder Ovarialzysten sowie Gebärmutterentzündungen
  • eine hämolytische Anämie, Hämaturie (Blut im Urin)
  • Darm-, Gleichgewichts- oder Hörprobleme
  • beidseitige Hautnekrosen am Schädel (auch unter den Haaren)

Eine Arteriitis temporalis erkennen

Typische Beschwerden wie der Schläfenkopfschmerz, Sehstörungen und entsprechende Veränderungen der Temporalarterie liefern bereits Hinweise auf die Erkrankung und sollten den Arzt zu einer ehebaldigen Entnahme einer Gewebeprobe aus dem Gefäß veranlassen, um rasch die passende Therapie einzuleiten.

Für eine Arteriitis temporalis gelten laut dem American College of Rheumatology fünf diagnostische Kriterien als beweisend:

  • Alter über 50 Jahre
  • neu aufgetretene Kopfschmerzen
  • Auffälligkeiten der Schläfenarterie
  • eine stark erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit
  • im Biopsat (entnommene und mikroskopisch untersuchte Gewebeprobe) der Arteria temporalis histologische Veränderungen im Sinne einer Riesenzellarteriitis

Drei davon müssen erfüllt sein, damit die Diagnose als gesichert gilt. Darüber hinaus können sich im Blut weitere entzündungstypische Abweichungen zeigen wie eine Erhöhung des CRP (C-reaktives Protein) und der weißen Blutkörperchen (Leukozytose), aber auch eine Anämie (verringerte Zahl der roten Blutkörperchen). Eine Farbduplex-Sonographie (Ultraschall) der Arteria temporalis kann Verengungen und Veränderungen der Gefäßwand zeigen. Eine augenärztliche Untersuchung prüft, ob bereits irreparable Schäden eingetreten sind.

Eine Arteriitis temporalis behandeln

Bereits bei Verdacht auf eine Arteriitis temporalis, mindestens jedoch nach deren gesicherter Diagnose empfiehlt sich eine sofortige hochdosierte Kortisongabe (inklusive Magenschutz), um die Entzündungsreaktion in den Blutgefäßen zu unterbrechen und so etwaigen Komplikationen der Erkrankung wie einer Erblindung vorzubeugen. Die Dosierung der Arznei wird nach klinischer Besserung stufenweise reduziert. Eine niedrige Erhaltungsdosis muss aber für mindestens zwei Jahre weiter genommen werden, um einem neuerlichen Aufflammen der Symptome vorzubeugen. Bei Unverträglichkeit der Substanz können alternativ Immunsuppressiva wie Methotrexat oder Azathioprin gegeben werden. Nur in Einzelfällen nimmt die Arteriitis temporalis dennoch einen chronischen Verlauf.

 

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