Ichthyosen: Hautschuppen mit Krankheitswert

Fehler im Erbgut führen dazu, dass eine vermehrte bis extreme Schuppung und Verhornung der Haut eintritt. Ichthyosen nennt die Medizin die Verhornungsstörungen, die in zahlreichen Erscheinungsbildern auftreten und oft eine tägliche mehrstündige Hautpflege erfordern. Sie bedeuten für viele daran Erkrankte einen langen Kampf mit gesundheitlichen und psychischen Problemen.
Die Haut umgibt den ganzen Körper, schützt ihn vor schädlichen Einwirkungen und trägt zur Wärmeregulierung des Organismus bei. Sie umfasst drei Teile (Ober-, Leder-, Unterhaut). Die Oberhaut setzt sich aus mehreren Schichten zusammen, die sich laufend erneuern, weshalb die abgestorbenen Zellen ihres obersten Anteils, der Hornschicht, als Schuppen abgestoßen werden. Hornzellen enthalten ein zähes, fadenähnliches Protein namens Keratin, das der Schicht Festigkeit verleiht. Die zwischen den Hornzellen befindlichen Lipide (Fettsubstanzen) sorgen dafür, dass Flüssigkeiten weder aus dem Organismus verloren gehen noch in den Körper eindringen (z.B. Wasser beim Baden). Sofern die toten Zellen von der Hautoberfläche mit der gleichen Geschwindigkeit abschuppen wie die Oberhaut neue Zellen bildet, befindet sich die Haut im Gleichgewicht und erscheint normal. Findet die Ablösung der abgestorbenen Zellen nur ungenügend und/oder die Produktion neuer Zellen zu rasch statt, stauen sie sich in der Hornschicht auf. Dann liegt eine sogenannte Ichthyose (Ichthyosis, Fischschuppenkrankheit; griech.: ichthýs = Fisch, weil die Hautschuppen Fischschuppen ähneln sollen) alias Verhornungsstörung vor. Davon gibt es verschiedene Formen mit unterschiedlichen Merkmalen und Ausprägungen.
Wodurch Ichthyosen entstehen
Die meisten Ichthyosen sind genetisch bedingt, d.h. defekte Erbanlagen zeichnen dafür verantwortlich. Einige vererbte Verhornungsstörungen zeigen sich bereits bei der Geburt (kongenitale Ichthyosen, z.B. lamelläre Ichthyose, kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie, Harlekin-Ichthyose), andere treten erst während der ersten Lebensjahre (vulgäre Ichthyosen, z.B. Ichthyosis vulgaris, Ichthyosis X) in Erscheinung. Es gibt aber auch einige erworbene Formen von Ichthyosen, die Folge von Hormon- oder Stoffwechselstörungen, Mangelerscheinungen (Fehlernährung) oder Krebsleiden sind und sich deshalb oft als heil- oder gut behandelbar erweisen.
Wie Ichthyosen in Erscheinung treten
Die bei Ichthyosen verdickte Hornschicht ist nicht imstande, genug Wasser zu binden, wodurch es zu einem Feuchtigkeitsverlust der Haut kommt, sie immer mehr austrocknet, schrumpft, aufbricht und Risse bildet, die sich vertiefen und verbreitern. Schilfert die Haut schließlich doch ab, geschieht das als zusammengeballte oder verklumpte (“Hornstachel“), deutlich sichtbare Schuppen. Diese Vorgänge verleihen der Haut das typische Schuppenmuster. Je nach Art und Schweregrad der jeweiligen Ichthyose reicht die Palette des Erscheinungsbildes der Haut von trocken oder mehlstaubartig bis hin zu reptilienähnlich. Bei schweren Formen der Verhornungsstörungen kommt es begleitend zu einer Beeinträchtigung der Schweißsekretion und Wärmeregulation. Schlimmstenfalls können schwere Ichthyosen bei Neugeborenen sogar tödlich verlaufen. Bei kongenitalen Ichthyosen zeigen die Babys in Abhängigkeit vom Typ der Verhornungsstörung ein sehr unterschiedliches Aussehen. Die Haut kann helle oder dunkle, eher feine oder klumpige Schuppen aufweisen, stark gerötet oder normalfärbig sein. Im Extremfall umhüllt eine leimartige Membran die gesamte Haut (”Kollodium-Baby”).
Problematisch ist oft die Anhidrose (Unfähigkeit zu schwitzen), die einen Wärmestau bedingt und die Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit einschränkt sowie die Gefahr einer Überhitzung des Körpers mit Dehydrierung (Austrocknung) birgt. Es drohen ein Kreislaufkollaps bzw. bei Kindern Fieberkrampf.
Arten von Ichthyosen
Derzeit sind rund 20 Formen der gesamt gesehen seltenen Hautfunktionsstörung bekannt. Hier eine Auswahl markanterer bzw. häufigerer Vertreter der Ichthyosen:
Ichthyosis vulgaris: Diese häufigste und mildeste, autosomal dominant vererbte Verhornungsstörung beruht auf einem schadhaft gebildeten Keratohyalin (Hornvorstufe) und defekten Abbau der Desmosomen (die verhornten Zellen verbindende Strukturen), somit einer verzögerten Abschuppung der mit normaler Geschwindigkeit gebildeten Hautzellen. Resultat: eine graue bis grünliche, feinpulvrige Schuppung vor allem an den Streckseiten der Extremitäten und an den Händen und Füßen vergröberte Linien, die tiefe Hautfalten hervortreten lassen („Ichthyosis-Hände“). Infolge einer verminderten Aktivität der Talg- und Schweißdrüsen entsteht eine Hauttrockenheit. Träger dieser Erkrankung leiden häufiger unter Asthma oder Neurodermitis.
Ichthyosis X (X-chromosomale Ichthyose): Diese zweithäufigste Form von Verhornungsstörung ist naturgemäß fast nur bei Männern zu finden, da sie X-chromosomal rezessiv vererbt wird. Sie kommt durch das Fehlen des an der Fettsynthese beteiligten Enzyms Steroidsulfatase zustande, das normalerweise den Auf- und Abbau einer zementartigen Kittsubstanz zwischen den Hornzellen regelt. Somit können sich die gelb-bräunlichen bis grauen, hauptsächlich am Stamm und an den großen Gelenkbeugen sitzenden Hornschuppen nicht ausreichend ablösen. Die Symptome schreiten bis zur Pubertät fort und bleiben dann konstant. Die Ichthyosis-X kann mit Veränderungen der Cornea (Hornhaut der Augen) und einem Hodenhochstand vergesellschaftet sein.
Kongenitale lamelläre Ichthyose (autosomal-rezessiv lamelläre Ichthyose): Die autosomal rezessiv vererbte Verhornungsstörung, der u.a. eine Mutation am Gen, das für das Enzym Transglutaminase (zuständig für die Bildung der Zellmembran in den Hornschichtzellen) codiert, zugrundeliegt, basiert auf einer verlangsamten Abschilferung der in normalem Tempo produzierten Hautzellen. Folge ist die Ausbildung einer durchsichtig-gelblich-bräunlichen Hülle, die an geöltes Pergament erinnert (“Kollodium-Baby“). Sie reißt nach und nach ein, sodass darunter eine manchmal vollständig gerötete Haut mit feinen, hellbraunen bis dicken, plattenartigen, sehr dunklen Schuppen, die aus dünnen, lamellenartig übereinanderliegenden Zellschichten (daher ”lamelläre” Ichthyose) bestehen, zum Vorschein kommt. Handflächen und Fußsohlen weisen oft ausgeprägte Furchen und vermehrte Verhornungen auf. Die extreme Hauttrockenheit kann ein Ektropion (Herunterziehen der Unterlider) nach sich ziehen.
Kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie: Sie wird durch verschiedene autosomal-rezessiv vererbbare genetische Defekte verursacht, die eine Überproduktion von Hautzellen bedingen, was dazu führt, dass die Zellen schon in wenigen Tagen die Hautoberfläche erreichen statt in den üblichen drei bis vier Wochen. Also schneller als sie abgeschuppt werden können. Resultat: eine stark gerötete, an eine Verbrennung erinnernde Haut, die juckt und vor allem an den Beugepartien des Körpers bräunliche, stachelige, beinahe warzenartige Schuppen aufweist. Zudem tritt oft ein verstärktes Haar- und Nagelwachstum ein. Die Erythrodermie tritt in nicht-blasenbildender (Kollodium-Baby) oder blasenbildender (bullöser) Form auf, von der es den schwerer verlaufenden Typ Brocq und den milderen Typ Siemens gibt. Grundlage der Erkrankung sind Fehler im genetischen Bauplan bestimmter Keratine, die zu einem fehlerhaften Aufbau von für den Zusammenhalt der Zellen wichtigen Filamenten (fadenartige Proteine) verantwortlich zeichnen, sodass bei mechanischer Belastung Blasen entstehen, die ohne Narbenbildung abheilen.
Harlekin-Ichthyose: Bei dieser schwerwiegenden Verhornungsstörung ist das Neugeborene von einem dicken Hornpanzer aus dicken gelben Hornplatten umhüllt, die durch Austrocknung tief einreißen, wodurch sich die Augenlider und Lippen nach außen kehren. Die Kinder sterben häufig schon im Mutterleib oder in den ersten Lebenswochen. Wenn nicht, geht die Harlekin-Ichthyose nach Ablösung des Panzers in eine schwere lamelläre Ichthyose über.
Andere, viel seltenere Arten von Ichthyose, die im Gegensatz zu den isolierten Ichthyosen gemeinsam mit anderen Störungen (z.B. Haarveränderungen, Entwicklungsverzögerungen, Bewegungsstörungen) auftreten (komplexe Ichthyosen), sind z.B. die kongenitale retikuläre ichthyosiforme Erythrodermie, die Chondrodysplasia punctata, das Sjögren-Larsson-, Refsum-, Tay- oder Netherton-Syndrom.
Ichthyosen erkennen und behandeln
Die sichtbaren Hautveränderungen in Kombination mit der Kranken- und Familiengeschichte führen den Hautarzt oft schon auf die richtige Spur. Andernfalls sichert eine Biopsie (Entnahme einer Gewebeprobe zur mikroskopischen Untersuchung) oder auch DNA-Analyse zur korrekten Diagnose. Bei komplexen Ichthyosen finden zusätzlich Funktionstests statt, z.B. zur Überprüfung des Seh- und Hörvermögens.
Erworbene Ichthyosen können abheilen, sofern sich die zugrundeliegende Erkrankung behandeln lässt. Angeborene Ichthyosen hingegen sind in der Regel nur linderbar. Hier haben Therapien zum Ziel, Hautschuppen und -verhornungen zu lösen, die Haut geschmeidiger zu machen und Hauteinrisse zu behandeln. Durch häufiges Baden mit salz- (weicht die Haut auf, bindet Wasser) und ölhaltigen Zusätzen, mechanische Entfernung von Verhornungen mittels Abbürsten der Haut, Schwämmen, Bimssteinen usw. sowie intensive Hautpflege mit Salben mit keratolytischen (z.B. Harnstoff, Salizyl-, Milch-, Vitamin-A-Säure, Polyäthylenglykol, Kochsalz), fettenden und hydratisierenden (z.B. Vaseline, Glycerin, Eucerin, Wollwachsalkohole) Inhaltsstoffen. Dampfbäder mit ihrer hohen Luftfeuchtigkeit weichen Verhornungen auf. Ebenso wirkt sich feuchtes Klima positiv auf Haut mit Verhornungsstörungen aus. Kollodium-Babys müssen aufgrund des bedrohlichen Flüssigkeits- und Wärmeverlusts intensivmedizinisch überwacht werden.
Schwere Fälle (z.B. Harlekin-Ichthyose ) erfordern die Gabe von – allerdings gern Hautreizungen und Hautbrennen erzeugenden – Vitamin-A-Säure-Derivaten (Retinoide wie Acitretin) in Tablettenform, die die Umsetzung der Erbinformation einer Zelle beeinflussen, regulierend in die unkontrollierte Vermehrung der Hautzellen eingreifen, indem sie ein langsames statt überstürztes Ausreifen neu gebildeter Zellen fördern, für eine gewisse Zeit die Neubildung von Verhornungen verhindern und sich zudem als rasch hornhautlösend und durch Einwirkung auf Immunzellen entzündungshemmend erweisen. Sie eignen sich jedoch nicht für Frauen im gebärfähigen Alter, da sie bei Ungeborenen schwere Schäden verursachen, weshalb eine Schwangerschaft vor Therapiebeginn ausgeschlossen sowie während und bis zwei Jahre nach Ende der Behandlung verhindert werden muss.
Da bei Ichthyosen das äußere Erscheinungsbild negative Reaktionen der Umwelt hervorrufen kann und oft Probleme in puncto Selbstwertgefühl bereitet, leben viele Menschen mit Verhornungsstörungen sehr zurückgezogen. Auch der extreme Pflegeaufwand trägt nicht gerade zum Selbstbewusstsein bei. Dann kann eine psychotherapeutische Unterstützung oder der Besuch einer Selbsthilfegruppe helfen.
Weiterführender Link:
Netzwerk Ichthyosen
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Datum: 29. Dezember 2017
Kategorien: Haut- und Geschlechtskrankheiten