Verätzung: Was Säuren, Laugen und Co. anrichten

Ein unbedachter Schluck aus einer Flasche, in der sich statt Limonade Lauge befindet. Ein Tropfen Kleber, der unverhofft im Auge landet. Oder ein Spritzer Säure, der auf ungeschützte Haut trifft – und schon ist eine Verätzung im Gange, ein akuter Notfall mit oftmals schwer- und langwierigen Folgen. Wenn der Ersthelfer unvorsichtig agiert, auch für ihn selbst.
Die Haut schützt den Organismus vor vielen potenziell schädlichen Einflüssen, so auch vor chemischen Substanzen. Ebenso bewahren Schleimhäute darunter liegende Strukturen vor dem Eindringen von Chemikalien. Aber nur bis zu einem gewissen Grad, denn Haut und Schleimhäute können aggressiven Säuren, Laugen, organischen Lösungsmitteln oder Detergenzien lediglich begrenzt Paroli bieten. Dann entstehen Verätzungen, die sie oder auch angrenzende Gewebe zerstören. Die Schwere der Folgen hängt von der Menge und Konzentration des ätzenden Stoffes sowie der Dauer seiner Einwirkung ab. Von Verätzungen betroffene Organe sind die Haut, Augen oder der Verdauungskanal.
Ätzende Substanzen und ihr Gefahrenpotenzial
Säuren, Laugen und Co. sind allgegenwärtig. Etwa in Haushaltschemikalien wie Reinigungsmitteln, Kalkentfernern, Essigessenzen u.a.m. Einige davon sind weniger, andere aber extrem aggressiv. Kommen sie mit lebendigem Gewebe in Kontakt, zerstören sie darin befindliche Eiweißstoffe und verursachen so Defekte. Säuren gehen dabei anders vor als Laugen. Sie lassen das Gewebe gerinnen und absterben, indem sie Zelleiweiße verklumpen, verursachen also eine sogenannte oberflächliche Koagulationsnekrose, wodurch die Säure nicht tiefer ins Gewebe vordringen kann und sich ein fester, trockener Schorf bildet. Starke Säuren (z.B. Schwefelsäure) aber erreichen auch tiefer liegende Gewebe. Laugen hingegen verflüssigen das Gewebe, führen also zu einer sogenannten Kolliquationsnekrose, wodurch sie auch in tiefe Schichten gelangen, was schwerwiegende Folgen haben kann. Sie bilden einen weißlichen, weicheren Schorf.
Verätzungen der Haut
Gelangt eine ätzende Substanz auf die Haut, rötet diese sich ähnlich wie bei einer Verbrennung (Schweregrad 1), schwillt an und schmerzt stark, bildet zudem oft Blasen (Schweregrad 2) und Risse und kann auch bluten. Kommt es zu Zerstörungen der Haut (Schweregrad 3), heilen diese meist nur schlecht wieder. Entstehen tiefe Wunden, können diese sich infizieren. Großflächige Wunden bergen zudem die Gefahr, dass sich infolge des starken Flüssigkeitsverlusts ein Schock entwickelt. Je empfindlicher ein Hautareal (Schleimhäute!) ist, desto eher kommt es zur Bildung ausgeprägter Wunden und Narben. Zusätzlich können über die Haut aufgenommene Chemikalien zu Vergiftungen führen und innere Organe schädigen.
Erste Hilfe bei Hautverätzungen
Wie bei allen anderen Erste-Hilfe-Aktionen gilt auch hier: Zuallererst muss der Helfer auf die eigene Sicherheit achten, denn nimmt er Schaden, nützt er weder dem Verunglückten noch sich selbst. Im Falle einer Verätzung bedeutet das: nach Verständigung des Notarztes (Tel.: 144, am besten übernimmt das ein weiterer Helfer) zuallererst geeignete (chemikalienresistente!) Schutzhandschuhe anziehen, um sich bei Berührung des Verunglückten nicht selbst zu verätzen.
Dann den Verletzten von sämtlichen mit der ätzenden Substanz in Kontakt gekommenen Kleidungsstücken befreien. Ev. vorhandene hohe Säure-oder Laugenmengen mit einem Tuch entfernen. Anschließend – sofern auch der Notdienst dazu rät – die verätzte Haut intensiv spülen, und zwar möglichst mit klarem Wasser, mindestens eine Viertelstunde lang. Dabei soll das Wasser den kürzesten Weg über die Haut nehmen, sodass der Mix aus Wasser und ätzendem Stoff nicht auf gesunde Hautpartien gelangt. Zuletzt die verätzte Stelle steril (keimfrei) verbinden. Ist kein Wasser verfügbar, kann man die verätzte Haut mit Zellstoffmull-Kompressen abtupfen, um sie vom Schadstoff zu befreien, wobei jeder Tupfer nur einmal benutzt werden darf. Zu unterlassen ist das u.U. nachteilig wirkende, eigenmächtige Aufbringen scheinbar heilsamer Salben, Gels oder Puder.
Verätzungen der Augen
Gerät eine ätzende Substanz in ein Auge, ist das ein sehr schmerzhaftes Geschehen, das mit verstärktem Tränenfluss, einer Rötung und Schwellung der Bindehaut sowie einem krampfhaften Zusammenkneifen des Auges einhergeht. Die Hornhaut und damit das Augenlicht ist in Gefahr. Wird sie geschädigt, entsteht ein “Fischauge“ (weißliche Hornhauttrübung).
Erste Hilfe bei Augenverätzungen
Kommt Kleber, Lack, ein scharfer Reiniger oder Ähnliches ins Auge und verätzt es, ist rasches Handeln angesagt, denn es droht eine Erblindung. Auch hier lauten die ersten beiden Schritte: den Notruf 144 alarmieren und Schutzhandschuhe anziehen. Anschließend den Verletzten dazu veranlassen, sich auf den Rücken zu legen und den Kopf auf die Seite des verätzten Auges zu drehen. Dieses danach lange mit klarem Wasser spülen. Hierzu mit zwei Fingern die Lider spreizen und das Wasser aus rund zehn Zentimetern Höhe in den inneren Augenwinkel rinnen lassen, das dann über den Augapfel und äußeren Augenwinkel abfließt, möglichst ohne auf andere Gesichtspartien zu gelangen. Schließlich das verätzte Auge steril verbinden. Zum Schutz des anderen Auges auch dieses mit einem Verband versorgen. Ausnahme: Verursacht ungelöschter Kalk (Zement, Branntkalk) die Augenverätzung, darf kein Wasser ins Auge, sonst schreitet die Verätzung voran, führt innerhalb kürzester Zeit zur Hornhauttrübung und Erblindung. Der Kalk kann nur mechanisch entfernt werden – vom Augenarzt!
Innere Verätzungen
Es sind immer wieder mal die berühmt-berüchtigten Limonadenflaschen, in die unklugerweise Reiniger oder andere aggressive Substanzen gefüllt werden, ohne das deutlich zu kennzeichnen. Ein Schluck daraus und schon ist es geschehen: Der gefährliche Inhalt verätzt Mund und Speiseröhre oder auch Magen und Darm. Gefährdet sind v.a. Kinder, deren Neugier sie dazu bringt, Flüssigkeiten aus allerlei Gefäßen zu probieren. Manche Menschen trinken Säuren oder Laugen aber auch bewusst – in suizidaler Absicht. Der Verzehr ätzender Chemikalien verursacht sofort heftige Schmerzen in der Kehle und hinter dem Brustbein, vermehrten Speichelfluss, Schluckstörungen, ev. auch Erbrechen. Der zuschwellende Rachen erzeugt Atemnot. Schocksymptome wie Schwitzen, Herzrasen, Bewusstseinsstörungen und Zittern können auftreten.
Kennzeichen einer Mundschleimhautverätzung: Die Schleimhaut ist gerötet und geschwollen und weist Beläge oder auch Geschwüre und Blutungen auf. Die Ätzspuren, d.h. Verschorfungen, im Mund- und Rachenraum oder auch Erbrochenes liefern eventuell Hinweise darauf, welche Substanz geschluckt wurde (z.B. grauweiße gallertartige Quellungen = Laugen, grauweiße bis braunschwarze Krusten = Salz-, Schwefel- oder Essigsäure, gelbliche Verschorfungen = Salpeter- oder Chromsäure, grünliche Krusten = kupferhaltige Chemikalien wie grüne oder blaue Malerfarbe oder Schädlingsbekämpfungsmittel).
Kennzeichen einer Speiseröhrenverätzung: Ihre Intensität steigt mit den von der Säure oder Lauge (gefährlicher, da Laugen gern einen Krampf der Muskulatur, die normalerweise den Magen öffnet, auslösen und deshalb länger in der Speiseröhre verweilen) durchdrungenen Gewebeschichten. Beschränkt sich die Einwirkung der ätzenden Substanz auf die Schleimhautoberfläche, kommt es nur zu einer Hyperämie (verstärkte Durchblutung) und Ödemen (Wasseransammlungen im Gewebe) und damit Abheilung innerhalb von einigen Tagen. Erreichen die Verätzungen aber die Muskelschicht der Speiseröhrenwand, führt das zu Nekrosen (Gewebezerstörungen), Ödemen und Entzündungen und damit zu einem langwierigen Heilungsprozess, währenddessen sich Strikturen (narbige Verengungen) bilden, weil die Entzündung eine Fibrose (starke Bindegewebsvermehrung) nach sich zieht. Diese Verengungen können wiederholte Bougierungen (vorsichtige Aufdehnungen mit einer Sonde) notwendig machen. Werden alle Wandschichten der Speiseröhre geschädigt, stirbt das Gewebe ab und verfärbt sich, da auch Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) abgebaut wird, bläulichschwarz. Infolge der Minderdurchblutung kommt es zu einer Art “Selbstandauung“ (Autolyse), die sich als Geschwüre bemerkbar macht. Das erhöht die Gefahr einer Perforation (Durchbruch). Als weitere Komplikationen einer Ösophagusverätzung drohen
- Blutungen
- eine Mediastinitis (Entzündung des Brustraums), begleitet von Fieber, Schmerzen hinter dem Brustbein, Husten und Schluckstörungen
- die Ausbildung von Fisteln (röhrenförmige Verbindungen) zwischen Speiseröhre und Bronchien
- bei Einreißen des oberen Teils des Ösophagus – die Entstehung eines Hautemphysems (Luftansammlung in der Unterhaut), das sich als Schwellung, die beim darauf Drücken ein knirschendes Geräusch erzeugt
Häufige Spätfolgen einer schweren Speiseröhrenverätzung sind Verwachsungen bis hin zum Speiseröhrenverschluss und ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Speiseröhrenkrebs oder Narbenkarzinomen.
Weitere mögliche Auswirkungen einer Verätzung des Verdauungskanals sind Magenblutungen sowie Magen- und Darmperforationen.
Erste Hilfe bei inneren Verätzungen
Das Verschlucken ätzender Substanzen bedeutet einen lebensgefährlichen Notfall, der ein rasches ärztliches Eingreifen erfordert. Deshalb ist die Alarmierung der Rettung (Tel.: 144) unerlässlich. Bis zu deren Eintreffen bleibt für den Ersthelfer als einzig sinnvolle Maßnahme, dem Verletzen schluckweise klares Wasser zu verabreichen, um die ätzende Chemikalie zu verdünnen. Absolut tabu ist es, Erbrechen auszulösen. Sonst verätzt die mit dem Erbrochenen hochkommende Substanz neuerlich Mund und Speiseröhre. Stattdessen lieber beruhigend auf den Verletzten einwirken und aufgefundene Ätzmittel sowie ev. Erbrochenes (kann Hinweise auf Verätzungssubstanz liefern) sicherstellen.
Verwandter Ratgeber:
Vergiftung: Was tun bei einer Intoxikation?
Datum: 22. Dezember 2014
Kategorien: Gesundheit allgemein