Sport statt Tabletten: warum Bewegung besser wirkt als Medikamente

© Syda Productions - Fotolia.com

Studienergebnisse legen nahe: Wer krank ist, soll sich bewegen. Denn mit Sport kann man einige Zivilisationskrankheiten mindestens ebenso effektiv behandeln wie mit Pillen. Und das nahezu nebenwirkungsfrei, schonend und kostengünstig. Auch wenn das gesundheits-förderliche Potential körperlicher Aktivität bislang viel zu wenig genutzt wird, hoffen daher Forscher, dass es eines Tages üblich wird, statt Medikamente Bewegung per Rezept zu verordnen.

Rückenprobleme, Diabetes, Herz-Kreislauf-Leiden, Kopfschmerzen oder Depressionen – daran verdienen sich Pharmafirmen eine goldene Nase. Denn die gängige Praxis in der Behandlung solcher Volkskrankheiten lautet: Pillen verschreiben. Und tatsächlich erweisen sich Medikamente als wirksam zur Linderung dieser Erkrankungen. Allerdings mit dem Nachteil, dass sie Nebenwirkungen entfalten können. Etliche Studien zeigen nun, dass es in vielen Fällen auch anders ginge. Deshalb raten Forscher dazu, öfter auf eine genauso effektive Therapiealternative umzusteigen: Bewegung. Leider wird dieser heiße Tipp bislang noch zu wenig beherzigt. Sport gibt es schließlich auch (noch) kaum auf Rezept.

Geringere Sterblichkeit: Sport oder Medikamente?

Die bislang eindrucksvollsten Ergebnisse zur Fragestellung, ob gezielte Bewegung im Frühstadium von Erkrankungen wie Diabetes oder Herzproblemen besser vor dem Tod schützen kann als gängige Arzneien, liefert eine an der Universität von Stanford durchgeführte Analyse mehrerer kontrollierter klinischer Studien zum Thema Effekt von Sport auf die Sterblichkeit bei prädiabetischer Stoffwechsellage, Erkrankungen der Herzkranzgefäße, Herzversagen oder Schlaganfällen. Hierzu wurden die Daten von mehr als 300.000 Menschen ausgewertet, von denen ein Teil ein Sportprogramm absolvierte, der andere Arzneimittel schluckte. Fazit: Das regelmäßige Training konnte bei den meisten Herz-Kreislauf-Leiden und einem sich anbahnenden Typ 2-Diabetes im Beobachtungszeitraum der Untersuchungen einem krankheitsbedingten Sterberisiko klar vorbeugen. Im Detail: Bei Erkrankungen der Herzkranzgefäße und Diabetesvorstufen war die körperliche Aktivität ähnlich präventiv wirksam wie häufig verordnete Präparate (z.B. Betablocker als Blutdrucksenker, Statine als Blutfettsenker). Bei der Rehabilitation nach Schlaganfällen übertraf der vorbeugende Effekt der Bewegung sogar den von Medikamenten. Bezüglich Herzversagen hingegen führten Diuretika (Entwässerungsmittel) anscheinend zu einem etwas besseren Outcome als sportliche Aktivitäten oder auch andere Arzneien.

Allerdings weisen sämtliche zusammengetragene Studien einen Schwachpunkt auf: Es finden sich in ihnen deutlich mehr Daten zum Effekt der Arzneien als zu dem der Bewegung, weshalb die Forschungsergebnisse eher vorsichtig zu interpretieren sind. Zudem unterschieden sich möglicherweise die Teilnehmer der Bewegungsstudien hinsichtlich des Krankheitsgrades von denen der Medikamentenstudien (schwerer krank?), was die Resultate verzerrt haben könnte. Kritiker leiten aus einseitiger, zu sehr auf Medikamente konzentrierter Forschung ab, dass andere, ev. sogar wirkungsvollere Therapien für diverse Krankheitsbilder unerkannt bleiben könnten. Und fordern deshalb von der Wissenschaft weitere Studien ein, die direkt die Wirkung vorbeugend eingenommener Medikamente mit der von Bewegungsprogrammen vergleichen. Einige erhobene Fakten zum Einfluss von Bewegung auf die Entwicklung gewisser Krankheiten sind dennoch der Erwähnung wert wie z.B.:

Wie Bewegung gegen Kopf- und Rückenschmerzen hilft

Auf Migräne und v.a. Verspannungskopfschmerzen wirkt regelmäßig (wenigstens dreimal wöchentliches 30 Minuten-Training) betriebener leichter Ausdauersport (z.B. Walken, Laufen) wie Entspannungsübungen, lauten Erkenntnisse der Schmerzklinik Kiel. Die Schmerzintensität lässt nach. Die Zahl der Schmerzattacken sinkt schon sechs Wochen nach Beginn mit dem Sportprogramm auf die Hälfte und die Schmerzen werden rascher überwunden. Denn Bewegung sorgt für eine bessere Durchblutung und Sauerstoffversorgung des Nervensystems sowie verstärkte Ausschüttung von Endorphinen (körpereigene Schmerzabwehrstoffe) insbesondere in Gehirnregionen, die für die Verarbeitung von Gefühlen und Unterdrückung von Schmerzen zuständig sind. Außerdem löst Bewegung Verspannungen bzw. kräftigt die Muskulatur so effektiv, dass erst gar keine starken Verspannungen, die Kopfschmerzen auslösen, entstehen.

Auch Rückenbeschwerden sind meistens auf Muskelverspannungen infolge einer untrainierten Rückenmuskulatur zurückzuführen. Daher hilft gegen Kreuzschmerzen, die Rückenmuskulatur gezielt mit geeigneten Übungen zu stärken, woraufhin viele Beschwerden von selbst verschwinden. Denn je kräftiger die Muskeln, desto weniger Last müssen die Wirbelsäule und vor allem die Bandscheiben, die Belastungen abfedern, tragen. So beugt Bewegung auch Bandscheibenvorfällen vor.

Wie Sport Herz und Kreislauf stärkt

Insbesondere die Blutdruckwerte profitieren von regelmäßigem moderatem Ausdauersport wie z.B. Laufen, Walken oder Radfahren. Denn obwohl Sport zunächst – wie jede andere körperliche Belastung auch – den Blutdruck steigen lässt, nach der Anstrengung sinkt er deutlich und nachhaltig unter den ursprünglichen Ruhewert ab. Ebenso verringern sich die Belastungswerte. Die Normalisierung eines erhöhten Blutdrucks ist wichtig, weil eine längerfristige Hypertonie (Bluthochdruck) Herz und Gefäße schädigt (Arteriosklerose), was deutlich das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko erhöht. Zwar kommen Hypertoniker häufig nicht ganz ohne Medikamente aus, doch macht Bewegung unter ärztlicher Kontrolle – als Ergänzung zur Arzneimitteltherapie – trotzdem Sinn. Weil sie oft dazu führt, dass die Dosis der Blutdrucksenker und/oder Zahl an verabreichten Substanzen reduziert werden kann. Bei nur mäßig erhöhtem Blutdruck kann regelmäßige Bewegung ihn sogar auf einen derart niedrigen Wert einpendeln, dass Antihypertensiva überflüssig werden. Zudem bremst Sport die Arterienverkalkung und damit –verengung (Vorstufe zu Infarkten), putzt also quasi die Gefäße durch. Da sich außerdem das Herz am ehesten erholt, wenn es arbeitet, ist nach Herzinfarkten anhand eines Belastungstests empfohlener Ausdauersport auch in jedem Reha-Programm an der Tagesordnung.

Depressionen und Angststörungen: wie Sport das Gemüt aufhellt

Depressionen und Angststörungen gehören zu den verbreitetsten seelischen Leiden der Gegenwart. Beide Erkrankungen wurzeln in denselben neurobiologischen Mechanismen. Und die lassen sich durch Bewegung beeinflussen. Indem Sport den Serotonin-Spiegel (Belohnungshormon) erhöht und den Stresshormon-Spiegel senkt. Deshalb zeigen Studien, dass körperliche Aktivitäten die Stimmungslage positiv beeinflussen, bei Depressionen mehr noch als bei Angststörungen. Im Gegensatz zu Antidepressiva (mögliche Begleiterscheinungen: z.B. Gewichtszunahme, Bluthochdruck, Libido-Verlust u.a.m.) und Anxiolytika (Angstlöser, Beruhigungsmittel; Gefahr: Entwicklung einer Abhängigkeit) nebenwirkungsfrei. Besonders effektiv scheint – zumindest bei leichten Depressionen – eine Lauftherapie mit anschließender therapeutischer Besprechung der persönlichen Erfolgserlebnisse zu wirken, denn hierbei machen die Depressiven buchstäblich jeden Schritt aus eigener Kraft, erleben also, sich selbst aus dem Bann der unseligen Untätigkeit befreien zu können. Je fitter sie körperlich werden, desto fitter werden sie dann oft auch in der Alltagsbewältigung, blühen quasi mit der sie beim Laufen umgebenden Natur auf.

Der Zuckerkrankheit davonspazieren

Der Typ 2-Diabetes ist oft mit Übergewicht oder gar Fettleibigkeit (inklusive Folgen wie z.B. Knieprobleme) vergesellschaftet. Deshalb ist Joggen hier kaum angesagt. Nicht weiter schlimm, denn zügiges Gehen z.B. fünf bis sechs Stunden pro Woche genügt, um Gewicht und Bauchumfang, Blutdruck und Cholesterinwerte, v.a. aber den Langzeitzucker (HbA1C) purzeln zu lassen. Bewegung trägt nämlich zur Anregung der Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse und Normalisierung der Insulin-Resistenz (Nichtansprechen der Rezeptoren, d.h. Insulin-Bindungsstellen auf das Hormon) der Gewebe mit nachfolgend verbesserter Zuckerverwertung bei, sodass die Dosis der verabreichten Antidiabetika (z.B. Insulinplräparate) verringert oder die Medikamente sogar abgesetzt werden können. Kriegt ein potenziell werdender Typ-2-Diabetiker trotz besseren Wissens seinen Hintern nicht hoch, ist er gut beraten, sich einen Hund zu nehmen. Dann entkommt er den täglichen Ausgängen nicht. Der Zuckerkrankheit aber wahrscheinlich schon.

Osteoporose: wie Tanzen die Knochen stärkt

Körperliche Aktivität ist imstande, bis ins hohe Alter hinein die meisten Knochen zu kräftigen, selbst dann, wenn sich bereits eine Osteoporose (verminderte Knochendichte) eingestellt hat. Das erklärt sich aus der Tatsache, dass sich die Gebeine ständig im Umbau befinden, wobei Belastungen zu einer Verstärkung der dem Druck ausgesetzten Knochenstellen führen. Dabei zeigt sich: Je vielfältiger diese Belastungen ausfallen, desto widerstandsfähiger wird das Skelett. Deshalb erscheint Tanzen ideal, um den Knochenschwund, bei dessen Entstehung Bewegungsmangel eine entscheidende Rolle spielt, einzudämmen. Denn bei all den verschiedenen Fußstellungen, Schritten und Drehungen werden immer wieder unterschiedliche Körperpartien beansprucht. Auf dieses gleichzeitige Kraft- und Koordinationstraining reagieren die Osteozyten (knochenbildende Zellen) mit dem Aufbau von Knochensubstanz. Wobei sich die Verletzungsgefahr sehr in Grenzen hält.

Zukunftsmusik: Bewegung auf Rezept

Ein aktiver Lebensstil bringt also gesundheitlich viele Vorteile und kann den Verlauf zahlreicher Krankheiten günstig beeinflussen. Im Gegensatz zu vielen Arzneimitteln drohen bei angemessener körperlicher Aktivität auch kaum ernsthafte Nebenwirkungen. Dennoch wird das Potenzial von sportlicher Betätigung in puncto Prävention von Krankheiten bis dato nicht vollständig ausgeschöpft und Sport zu selten als Alternative zu medikamentöser Therapie vorgeschlagen. Das mag unter anderem daran liegen, dass es grundsätzlich an wissenschaftlich gesicherten Daten bezüglich der genauen Art, Häufigkeit und Intensität vorbeugend wirkender körperlicher Bewegung sowie an direkten Vergleichen zwischen medikamentöser Behandlung und Sport als Therapie mangelt. Denn diese fehlenden Kenntnisse erschweren es der Ärzteschaft, ihre Patienten mit bestimmten Erkrankungen hinsichtlich der jeweils passenden Dosis an körperlicher Aktivität zu beraten.

Jedenfalls plädieren mehrere Forscher dafür, dass zukünftig Sport häufiger als Alternative zu medikamentöser Therapie verschrieben (“Bewegungs-Rezepte“) werden sollte, um frühzeitige Todesfälle bzw. hohe Sterblichkeitsraten bestimmter Erkrankungen zu verhindern. Gleichzeitig warnen sie davor, eigenmächtig Medikamente abzusetzen und sich allein auf Bewegung zu verlassen bzw. bei Beginn eines Sportprogramms ohne ärztlichen Rat auf bisher eingenommene Arzneien zu verzichten.

 

Verwandte Ratgeber:
Kopfschmerzen, Spannungskopfschmerzen
Migräne (Hemikranie)
Rückenschmerzen – Bewegung ist Trumpf
Volkskrankheit Rückenschmerzen
Kreuzschmerzen (Rückenschmerzen, Lumbago, Gelenkblockierung)
Osteoporose: immer öfter auch Männersache 
Volkskrankheit Bluthochdruck: was können Sie tun
Herzschwäche (Herzinsuffizienz)
Depression
Diabetes mellitus: Begleiterkrankungen und Spätfolgen
Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
Osteoporose (Osteopenie, Knochenschwund)

Links zu unserem Lexikon:
Migräne
Bluthochdruck
Herzschwäche
Depressionen
Diabetes mellitus
Osteoporose