Schmerz: (lebens)notwendiges Übel

Eine unangenehme Erfahrung bleibt fast niemandem im Laufe seines Lebens erspart: Schmerz. Diese in der Regel als negativ bewertete Empfindung hat ganz wichtige Funktionen. Fehlt sie, wie z.B. bei der angeborenen Schmerzunempfindlichkeit (CIPA, HSAN Typ IV), ist das lebensbedrohlich.
Es scheint ganz logisch: Ist die Herdplatte heiß, berühren wir sie nicht und wenn ungewollt doch, ziehen wir die Hand sofort wieder zurück. In Sekundenbruchteilen. Noch bevor schlimme Folgen entstehen. Ähnlich geht es uns mit scharfen Werkzeugen u.a.m. Passiert doch eine Verletzung, schonen wir instinktiv den lädierten Bereich und sorgen so dafür, dass er besser heilen kann. Dass wir uns so verhalten, liegt an einer wertvollen Fähigkeit unseres Nervensystems: Es kann Schmerzreize wahrnehmen. Primäre Funktion dieser Empfindung ist es mitzuteilen, dass “etwas nicht stimmt“. Dass das leibliche Wohl, vielleicht sogar das Leben in Gefahr ist.
Im Gefolge vieler Erkrankungen oder Fehlbelastungen, aber auch als eigenständiges Krankheitsbild kann aber eine Chronifizierung von Schmerzen auftreten. Das kostet Lebensqualität und beschert vielen von chronischen Schmerzen Heimgesuchten eine Odyssee durchs Gesundheitssystem, um zu einer erfolgreichen Therapie zu kommen. Dann sehnt sich so mancher dieser Patienten danach, keinen Schmerz mehr verspüren zu können. Ein verständlicher, aber eigentlich unseliger Wunsch.
Warum Schmerzunempfindlichkeit KEIN Idealzustand ist
Für Schmerzgeplagte mag es wie ein Hohn klingen, aber ein Unvermögen, Schmerzen spüren zu können ist kein erstrebenswertes Ziel. Das beweisen Menschen, die mit einem Nervenleiden geboren werden, das mit einer Analgesie (Aufhebung der Schmerzempfindung) einhergeht. HSAN (Hereditäre sensorisch-autonome Neuropathie) Typ IV (engl.: congenital insensitivity to pain with anhidrosis, CIPA) heißt die seltene Erkrankung, die autosomal rezessiv vererbt wird. Das bedeutet: Die Eltern von Kindern mit CIPA sind in der Regel symptomfrei, besitzen aber beide das die Krankheit auslösende veränderte NTRK1/TRKA-Gen (neurotrophic tyrosine receptor kinase 1-Gen), das sie an ihre Nachkommen weitergeben können. Der Gendefekt führt zu einer fehlerhaften Ausbildung bestimmter Nervenfasern, die normalerweise bei Schmerzreizen entsprechende Botschaften ans Gehirn senden.
Da von der Krankheit Betroffene keine Schmerzen empfinden, sind sie außerstande, potenzielle Gesundheitsgefahren richtig einzuschätzen. In der Folge kommt es zu Selbstverstümmelungen (z.B. Abbeißen der Zungenspitze, Amputationen der Finger, Hornhautgeschwüre der Augen, mehrfache Knochenbrüche, Verbrennungen), weil sie nicht spüren, dass z.B. eine Herdplatte heiß oder ein Messer scharf ist. Noch dazu zeigen Wunden eine schlechte Heilungstendenz. Die Gefahr, dass lebensbedrohliche Verletzungen nicht rechtzeitig erkannt werden, ist groß, weshalb ein beträchtlicher Teil der Erkrankten bereits in jungen Jahren stirbt.
Zusätzlich besteht eine Anhidrose (gänzlich oder größtenteils aufgehobene Schweißbildung), die sich vor allem am Stamm und den oberen Extremitäten, unterschiedlich häufig am übrigen Körper bemerkbar macht. Das erzeugt oft wiederholte Fieberschübe und –krämpfe, macht außerdem die Haut dick und lässt leicht Schwielen entstehen. Außerdem sind Menschen mit CIPA meist mental retardiert (in der seelisch-geistigen Entwicklung verzögert) und neigen zu Gereiztheit, Hyperaktivität und Wutausbrüchen.
Wie Schmerz entsteht
Droht oder besteht bereits ein Gewebeschaden, erkennen das die Nozizeptoren (“Schmerzfühler“), d.s. Nervenendigungen bestimmter (Ad- oder C-) Nervenfasern. Diese Fasern verlaufen zum Hinterhorn des Rückenmarks, wo sie bei Erregung den Neurotransmitter (Botenstoff) Glutamat ausschütten und so die Information “Schmerzreiz“ über spezielle Glutamatrezeptoren weiterleiten bis zum Gehirn, wo schließlich der Sinneseindruck “Schmerz“ registriert wird. Erregt werden die Nozizeptoren durch starke physikalische (z.B. hoher Druck, hohe oder niedrige Temperaturen) oder chemische (z.B. Entzündungsmediatoren) Reize.
Wofür Schmerz gut ist
Akuter Schmerz warnt den Organismus vor einer Gefahr – etwa der heißen Herdplatte – und schützt ihn davor, sich (weiteren) Schädigungen auszusetzen. Somit sorgt er für wichtige Erfahrungen, durch die man fürs Leben lernt. Denn wer in einer bestimmten Situation mit Schmerz Bekanntschaft macht, wird in Zukunft entweder in ähnlichen Situationen vorsichtiger agieren oder vermeiden, nochmals in die gleiche Lage zu kommen. Schmerz dient somit als Lehrmeister, der eine gewisse Unversehrtheit des Körpers garantieren will. Das geschieht zum Teil auch über eine weitere als negativ bewertete, aber ebenso lebensnotwendige Empfindung: die Angst (vor Schmerzen).
Schmerz hat aber auch heilende Effekte. Etwa dann, wenn ein verletzter Körperteil weh tut und man ihn deshalb ruhig hält und somit schont.
Nicht zuletzt erzieht die Fähigkeit zur Schmerzempfindung zu einer gewissen Empathie. Besteht keinerlei Angst vor Schmerzen, kann man schwer nachvollziehen, dass andere leiden. Dann fehlt es an Einfühlungsvermögen. Das beeinträchtigt die sozialen Beziehungen.
Wann Schmerz seine positiven Aspekte verliert
Die schützende Funktion von Schmerz verkehrt sich in ihr Gegenteil, wenn der Schmerz nicht verschwinden will, sobald seine Ursache beseitigt ist. Dann wird er zu einer eigenständigen Krankheit. Zum Dauerschmerz, auch genannt “chronischer Schmerz”.
Weiterführender Link:
http://www.orpha.net/consor/cgi-bin/OC_Exp.php?lng=de&Expert=642
Weitere Ratgeber:
Manuelle Medizin zur konservativen Behandlung von Schmerzsyndromen bei Kindern und Erwachsenen
Neuraltherapie als chronische Schmerztherapie
Datum: 12. Dezember 2013
Kategorien: Gesundheit allgemein