Schicht- und Nachtarbeit strapaziert die Gesundheit

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Arbeiten in Wechselschichten oder zu ungewöhnlichen Zeiten ist zwar in vielen Branchen notwendig, macht aber nachweislich krank, häufig auch dick und einsam. Denn unsere innere Uhr verzeiht den aufgezwungenen Fremdrhythmus nicht. Dem lässt sich auch nur begrenzt entgegenwirken.

Service rund um die Uhr oder zumindest erweiterte Öffnungszeiten – das versprechen zahlreiche Unternehmen und Dienstleister (z.B. Handel, Gastgewerbe, öffentlicher Verkehr, Transportwesen etc.) ihren Kunden. Auch die effektive Auslastung vieler Produktionsstätten macht deren dauerhaften Betrieb erforderlich. Krankenhäuser gewähren immer Zugang und Notdienste wie Polizei, Feuerwehr und Rettung sind sowieso pausenlos im Einsatz. Folge: Dort Beschäftigte arbeiten im Nacht-, Schicht- oder Wechseldienst. Das stresst nachweislich die Gesundheit.

Schicht- und Nachtarbeit

Lösen einander zu verschiedenen Zeiten Werktätige auf demselben Arbeitsplatz ab, spricht man von Schichtarbeit oder Wechseldienst. Das trifft laut Statistik Austria auf 600.000 ÖsterreicherInnen zu. Nachtarbeit erbringen hierzulande 619.000 Berufstätige. Tendenz eher steigend. Arbeitszeitgesetze und Schichtpläne regeln hierfür zwar geltende Bedingungen wie z.B. einzuhaltende Ruhezeiten. Doch auch wenn diese korrekt beherzigt werden, leidet der Organismus unter dem gestörten Tagesrhythmus. Zudem machen die fortschreitende Personaleinsparung, Krankenstände und Urlaube von Kollegen immer wieder Zusatzschichten und Rufbereitschaften notwendig.

Die innere Uhr

Menschen unterliegen einem endogenen (griech.: im Inneren erzeugt) circadianen (im Laufe des Tages, von lat.: circa = ringsum, dies = Tag) Rhythmus, der außer den Schlaf-Wach-Phasen auch Körperfunktionen wie Herzschlag, Blutdruck und Körpertemperatur steuert. Dabei spielt das in der Epiphyse (Zirbeldrüse) des Gehirns produzierte Melatonin eine wichtige Rolle. Die Ausschüttung dieser Substanz folgt den Lichtverhältnissen, die über die Sehbahnen im Nucleus suprachiasmaticus (Kerngebiet im Hypothalamus des Zwischenhirns) registriert werden. Wird es dunkel, bildet die Epiphyse Melatonin und aktiviert so Erholungsvorgänge im Körper. Bei Helligkeit, also normalerweise bei Tagesanbruch, stoppt die Melatoninsynthese und die leistungssteigernden Funktionen stehen im Vordergrund.

Die innere Uhr lässt sich durch äußere Faktoren wie Licht, aber auch Lärm und Beschäftigung beeinflussen, wie jeder Fernreisende weiß. Allerdings erfolgt bei Aufenthalten in anderen Zeitzonen in der Regel eine recht rasche Gewöhnung an den neuen Rhythmus, denn der geht synchron mit den dortigen Lebensgewohnheiten. Schichtarbeiter haben diesen Vorteil nicht. Sie müssen ihre innere Uhr durch die wechselnden Arbeitszeiten entgegen den äußeren Zeitgebern immer wieder umstellen, erleben also laufend “kleine Jetlags“, sind deshalb während der Arbeitszeit schläfrig, in der Ruhezeit aber schlaflos. Das wirkt sich oft negativ auf ihr Wohlbefinden und ihre Konzentrationsfähigkeit aus.

Fast obligat: Schlafmangel

Arbeiten, wenn andere schlafen, das bedeutet gegen die innere Uhr zu leben, denn der Mensch ist als tagaktives Wesen, das sich nachts erholt, konzipiert. So ist es nicht verwunderlich, dass der Organismus auf Nachtschichten mit sinkendem Konzentrations- und Reaktionsvermögen antwortet, was als nachlassende Produktivität bei erhöhtem Unfallrisiko zu Tage tritt.

Der ständige Schlafmangel von Schicht- und Nachtarbeitern beruht aber nicht nur auf dem gestörten inneren Rhythmus, sondern auch auf der Tatsache, dass es tagsüber heller, wärmer und lauter ist als nachts, d.h. Schlaf am Tag störanfälliger ist, nicht dieselbe Tiefe erreicht wie in der Nacht und damit weniger erholsam wirkt. So haben Nachtarbeiter eine um zwei bis vier Stunden kürzere Schlafdauer als Berufstätige mit fixen Tages-Arbeitszeiten. Hinzu kommt, dass die notwendige “Nachtruhe am Tag“ nicht immer eingehalten wird – z.B. weil es das Familienleben (z.B. Betreuung von Kleinkindern) nicht zulässt oder der Wunsch, am Sozialleben teilzunehmen überhand nimmt. Der Schlafentzug erzeugt permanente Müdigkeit und schwächt das Immunsystem. Besonders belastend ist die Anpassung an wechselnde Arbeitszeiten für über 40-Jährige und Menschen mit Erkrankungen wie Bluthochdruck, Migräne oder Verdauungsstörungen.

Folgen: gesundheitliche Nachteile

Wechsel- und Nachtschichten stören nicht nur den Schlaf-Wach-Rhythmus, sondern auch andere zeitliche Abläufe (z.B. die Verdauung). Eine Anpassung des Organismus gelingt meist nur teilweise. Davon abgesehen verleitet der aus dem “Wechselbad für die innere Uhr“ resultierende Stress zu gesundheitsschädlichem Verhalten wie z.B. Rauchen, hohem Kaffeekonsum, unregelmäßiger und kalorienreicher Ernährung (z.B. unkontrolliertes Zwischendurch-Essen) und Bewegungsarmut. Das führt – vor allem bei Dauernachtarbeitern – zu wissenschaftlich bewiesenen Gesundheitsrisiken wie:

  • Schlafstörungen: verkürzte Schlafdauer, schlechtere Schlafqualität
  • Verdauungs- und Stoffwechselproblemen: Appetitstörungen, Sodbrennen, Blähungen, chronische Gastritis, Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre, Darmentzündungen, Fehlernährung, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus
  • Herz-Kreislauf-Leiden: z.B. Bluthochdruck
  • psychischen Beeinträchtigungen: innere Unruhe, Gereiztheit, Nervosität, Sexualprobleme, Depressionen
  • sozialen Belastungen: aufwendiges Management familiärer Aktivitäten (Abstimmung mit dem Partner, den Kindern…) und schwierige Anpassung des Freizeit- und Soziallebens an die Dienstzeiten, drohende soziale Isolation

Auch ein erhöhtes Krebsrisiko durch Nachtarbeit hält das Internationale Krebsforschungszentrum der WHO (Weltgesundheitsorganisation) für wahrscheinlich, denn Studien an Krankenschwestern und Stewardessen bestätigen, dass ständige Verschiebungen der biologischen Schlaf-Wach-Abfolge und nächtliches Kunstlicht auf längere Sicht die Entstehung von Tumoren begünstigen.

Dem Dauer-Jetlag begegnen

Dass der innere Rhythmus infolge des willkürlichen Schlaf-Wach-Wechsels bei Schicht- oder Nachtarbeit aus dem Takt gerät, lässt sich zwar nicht vermeiden, aber abmildern und entgegenwirken. Etwa durch eine ihm gerechtere Gestaltung des Schichtplans mit schneller Rotation (nicht mehr als drei aufeinanderfolgende Früh-, Spät- oder Nachtschichten; günstig: auf eine Frühschichtperiode folgt eine Spätschicht, dann eine Nachtschicht), einer Schichtlänge von möglichst maximal acht Stunden und Ruhepause zwischen zwei Schichten von mindestens elf Stunden. Besonders empfehlenswert sind individuelle Wahlmöglichkeiten anbietende Schichtpläne. Das sowie längere Erholungszeiten und eine langfristige Dienstplanung kommen auch dem Familien- und Sozialleben besser entgegen.

Weitere Maßnahmen, die Firmen zum Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeiter treffen können, sind die Schaffung von gesundheitsverträglicheren Arbeitsbedingungen und die Förderung gesundheitsförderlichen Verhaltens. Dazu zählen etwa regelmäßige arbeitsmedizinische Untersuchungen, die Bereitstellung von ausgewogenen Mahlzeiten und Informationen zu einem gesunden Lebensstil (z.B. Stressbewältigung, Bewegung) und vor allem Betriebliche Gesundheitsförderung (professionelle Erkennung und Lösung besonders belastender und gesundheitsschädlicher Faktoren im Betrieb). Nicht zuletzt verhelfen eine merkbare Anerkennung der geleisteten Arbeit, eine Identifikation mit dem Arbeitgeber, im Betrieb gebotene Entwicklungschancen und Entscheidungsspielräume sowie positive Kontakte mit Kunden/Klienten/Patienten dazu, es besser zu verkraften, muss man wach sein, wenn der Organismus auf Ruhe eingestellt ist.

Was können Schicht-/Nachtarbeiter selbst tun?

Auch die Dienstleister selbst können für ihr Wohl sorgen und die Folgen ihrer ungewöhnlichen Arbeitszeiten abmildern, etwa indem sie

  • nach der Schicht vermeiden, sich hellem Licht aussetzen (z.B. am Heimweg Sonnenbrille tragen).
  • mindestens vier Stunden vor Schicht¬ende nichts Koffeinhaltiges trinken.
  • schlafen im ruhigsten und abgedunkelten Raum der Wohnung – bei abgeschaltetem Telefon und ausgestellter Türklingel sowie nach Schaffung eines guten Raumklimas.
  • fünf bis sechs leichte Mahlzeiten essen statt wenige schwer verdauliche.

 

Weiter führende Links:
Schichtarbeit Broschüre
Besser leben mit Schichtarbeit
Leitfaden zur betrieblichen Gesundheitsförderung in Großbetrieben

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