Neurofibromatose: Tumorbildung durch Genmutation

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Bereits geringe Veränderungen in der Erbmasse können Krankheiten auslösen. Wie zum Beispiel Neurofibromatosen, deren charakteristisches Merkmal die Entstehung gutartiger Tumoren der Nerven- und Bindegewebszellen ist, die allerlei Folgen haben können.

Die menschliche Erbmasse ist verwundbar. Umwelteinflüsse wie Chemikalien oder Strahlen wirken auf sie ein und auch ihre Vervielfältigung verläuft nicht immer reibungslos, da es zu Fehlern bei der Zellteilung kommen kann. Das führt oftmals zu Veränderungen von Genen (Mutationen), denn die Reparaturmechanismen des Organismus sind nicht imstande, alle Schäden am Erbgut zu beheben. Werden sie an die Nachkommen weitergegeben, können sie Erbkrankheiten verursachen. Bislang sind mehr als 4000 Krankheiten bekannt, die durch vererbte Genmutationen ausgelöst werden. Nur ein geringer Teil davon ist – z.B. durch Gentherapien – behandelbar. Viele Erbkrankheiten führen zu schweren Störungen oder zum vorzeitigen Tod, sodass ihre Träger sie häufig nicht auf ev. Nachwuchs übertragen können. Eine weit verbreitete Gruppe dieser Erbkrankheiten, die Neurofibromatosen, nehmen sehr unterschiedliche Verläufe.

Allgemeines zu Neurofibromatosen

Neurofibromatosen sind häufig vorkommende Erbkrankheiten, die höchstwahrscheinlich etwa zur Hälfte von einem Elternteil (autosomal dominant) vererbt werden und sonst durch Neumutationen zustande kommen. Sie treten mit sehr unterschiedlichen Symptomen auf, die in puncto Expressivität (Ausprägungsgrad) und Penetranz (Häufigkeit des Auftretens von für die Erbgutveränderung typischen Symptomen) variieren. Das bedeutet, Erkrankte mit nur leichten Anzeichen einer Neurofibromatose können Nachwuchs bekommen, der schwer erkrankt oder umgekehrt. Und: Zeigt jemand Symptome, können seine Kinder auch beschwerdefrei bleiben, obwohl sie die Genveränderung haben. Vorhersagen über den Verlauf lassen sich daher kaum treffen.

Typisch für Neurofibromatosen ist eine Neigung zur Ausbildung von Tumoren, in der Mehrzahl Neurofibrome, also gutartige Geschwülste bestimmter Nerven- und Bindegewebszellen, die sich in jedem Körpergewebe in jeder Altersstufe (v.a. während der Pubertät) entwickeln können. Durch ihr unkontrolliertes Wachstum bedrängen sie verschiedene Organe, was deren Funktionen beeinträchtigen kann. Auch wenn sie nur sehr selten bösartig werden, bedeuten sie – v.a. wenn sie an der Haut wachsen – kosmetische Entstellungen (früher: “Elefantenmensch“ als Jahrmarktssensation).

So können etwa Tumore der Seh- und Hörnerven Sprachbehinderungen, eine Erblindung oder Ertaubung verursachen, solche im Gehirn epileptische Anfälle, Lern- und Verhaltensstörungen, Entwicklungsverzögerungen, eine Vergrößerung des Kopfumfangs, die im Rückenmark eine Querschnittslähmung. Bei einer Vielzahl von Betroffenen kommt es aber nur zu leichten Krankheitszeichen.

Abhängig davon, auf welchem Chromosom sich der Gendefekt befindet, unterscheidet man im Wesentlichen zwischen Neurofibromatose Typ 1 und Neurofibromatose Typ 2.

Neurofibromatose Typ 1

Die Neurofibromatose Typ 1 (Morbus Recklinghausen, Von Recklinghausensche Neurofibromatose – periphere Form) kommt durch Veränderungen am für das Protein Neurofibromin kodierenden Gen auf dem Chromosom 17 zustande, das normalerweise die Aktivität eines anderen Protein (RAS = Signaltransduktionsprotein), das die Entstehung von Tumoren fördert, bremst (Tumorsuppressorprotein). Diese häufigste Form von Neurofibromatosen umfasst mindestens zwei der folgenden Merkmale:

  • Zwei oder mehr Neurofibrome oder mindestens ein plexiformes Neurofibrom: in Größe und Form meist sehr variabel, häufig an der Haut, aber auch möglich an Nerven, dem Rückenmark, der Augenhöhle und im Magen-Darm-Trakt. Je nach Ausmaß und Lokalisation rufen sie unterschiedliche, manchmal auch lebensbedrohliche Symptome hervor.
  • Café-au-lait Flecken (braune Hautflecken, mindestens sechs, größer als 5 mm präpubertär; größer als 15 mm postpubertär): erscheinen meist in den ersten Lebensmonaten, können sich im Lauf der Jahre vermehren und manchmal die einzige Manifestation der Erkrankung sein.
  • eine Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung nach seitwärts)
  • Knochenveränderungen wie eine Keilbeindysplasie, Trichterbrust, Verkrümmung der langen Knochen (X- oder O-Beine) oder Knochenzysten
  • Optikusgliome (Tumoren am Sehnerv)
  • Lisch-Knötchen (harmlose Pigmentanreicherungen auf der Regenbogenhaut des Auges)
  • Axillary oder inguinal freckling (sommersprossenartige Pigmentierungen in der Achselhöhle oder Leistengegend)
  • Lern-, Leistungs- und Verhaltensstörungen
  • Es existiert ein Verwandter ersten Grades (Elternteil, Geschwister, Kind) mit der Diagnose Neurofibromatose Typ 1 aufgrund dieser Kriterien.

Selten entarten Neurofibrome zu bösartigen Neurofibrosarkomen. Das Risiko der Entstehung eines Glioms (Tumor des Hirnstützgewebes), Meningeoms (Hirnhauttumor) oder Phäochromozytoms (Nebennierenmark-Tumor) ist jedoch erhöht.

Neurofibromatose Typ 2

Der Neurofibromatose Typ 2 (veraltet auch: bilaterale akustische Neurofibromatose, zentrale Neurofibromatose) liegen Veränderungen des Gens auf dem Chromosom 22 zugrunde, das für das Tumorsuppressorprotein Merlin kodiert. Diese deutlich seltenere Form der Neurofibromatosen macht sich häufig erst um das 20. Lebensjahr bemerkbar und führt zu folgenden Merkmalen:

  • beidseitige Akustikusneurinome (Tumore an den Hör- und Gleichgewichtsnerven)
  • Rückenmark- und Hirntumore (Meningeome, Schwannome)
  • eine Katarakt (Linsentrübung im Auge)
  • eventuell Cafe-au-lait Flecken
  • eine Polyneuropathie

Schwannomatose

Auch diese durch bislang ungeklärte genetische Veränderungen verursachte, seltene Erkrankung gehört zum Formenkreis der Neurofibromatosen und zeigt demgemäß auch ähnliche Symptome wie die Ausbildung von Schwannomen (Schwann-Zell-Tumoren), oft auch – wenn die Gewächse auf Nervenstrukturen drücken – einer Neuropathie.

Diagnose & Therapie

Die typischen Symptome können bereits erste Hinweise liefern auf eine mögliche Neurofibromatose. Gentests bestätigen im Fall einer Typ1- und Typ 2- Neurofibromatose die Diagnose.

Ursächlich bekämpfen kann man Neurofibromatosen bis dato nicht. Die Behandlung beschränkt sich daher auf die chirurgische Entfernung von Tumorgewebe, Verlangsamung des Tumorwachstums mit Chemotherapeutika und eine bedarfsgerechte Schmerztherapie. Zur rechtzeitigen Erkennung neuer Tumore sind regelmäßige ärztliche Kontrollen notwendig. Ev. Entwicklungsverzögerungen, Sprachstörungen oder motorische Probleme lassen sich mit Hilfe von Logopädie, Ergo- und Physiotherapie bessern oder beheben.

 

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von Recklinghausen Gesellschaft

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