Narkolepsie: risikoreicher Schlafzwang

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So ein Nickerchen zwischendurch ist schon was Feines. Es sei denn, es geschieht unfreiwillig. Genau dieses Problem haben Menschen mit Narkolepsie. Sie erleiden am helllichten Tag in unterschiedlichsten Situationen plötzliche und zwanghafte Schlafattacken. Sitzen sie dann hinter dem Steuer eines Fahrzeugs oder bedienen Maschinen, kann das gefährlich werden. Es leiden Alltag und Lebensqualität.

Das kennen viele: Eine scheinbar ewige Besprechung ist im Gange oder ein schier endloser Vortrag, eine längere Sitzung beim Friseur oder es läuft im Fernsehen ein fader Film – auf einmal werden die Lider immer schwerer und schwups ist man eingenickt. Desgleichen droht nach einer allzu üppigen Mahlzeit (“Suppenkoma“). Kommt es aber immer wieder – völlig unvorbereitet und unkontrollierbar – zu Schlafattacken während der Ausführung von Tätigkeiten, die eigentlich Konzentration erfordern, könnte eine Narkolepsie (griech.: nárkōsis = Betäubung, In-Schlaf-Versetzen, lêpsis = Anfall; Schlafkrankheit, Schlummersucht, Schlafsucht) dahinterstecken. An dieser neurologischen Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus leiden hierzulande laut der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin rund 4.000 Menschen, wobei die Dunkelziffer wesentlich höher sein dürfte.

Die Narkolepsie umfasst einen Symptomkomplex von im Wesentlichen vier Krankheitszeichen (narkoleptische Tetrade): Schlafzwang, Kataplexie (Verlust der Muskelspannung), abnormer Schlafrhythmus und Schlaflähmung, die großen individuellen Schwankungen unterliegen, d.h. sie variieren in ihrem Auftreten und ihrer Ausprägung von Fall zu Fall. Sie können auch so diskret ausfallen (z.B. Narkolepsie ohne Kataplexien), dass sich die Störung erst durch sehr eingehende Untersuchungen nachweisen lässt. Das erklärt, warum die Krankheit öfters lange Zeit unentdeckt bleibt. Zusätzlich treten häufig Konzentrations- und Lernstörungen auf, die dem Schlafzwang bzw. abnormen Schlafhythmus zuzuschreiben sind. Andere mögliche Begleiterscheinungen sind Kopfschmerzen, Depressionen, Potenzstörungen und Persönlichkeitsveränderungen.

Kardinalsymptom unwiderstehlicher Schlafzwang

Typisch für die Narkolepsie ist eine den Alltag (z.B. Arbeit, Schule) belastende, ständige Müdigkeit und ganztägig erhöhte Schläfrigkeit, die phasenweise in heftigen Schlafdrang übergeht. Diese imperativen (= plötzlichen und ungewollten) Schlafattacken, die meistens nur mehrere Sekunden bis einige Minuten lang dauern, können ganz bestimmten Auslösern gehorchen. So treten sie etwa gehäuft auf bei Dämmerlicht (z.B. Veranstaltungen in abgedunkelten Räumen wie Kinos oder Theater), bei monotonen Tätigkeiten, in eintönigen (z.B. Lesen längerer Texte, Fernsehen) oder passiven (z.B. langes Sitzen oder Zuhören) Situationen, in denen auch Gesunde zum Einschlafen neigen. Aber auch in solchen, wo Gesunde hellwach sind, wie beispielsweise während des Essens, bei der Arbeit, im Gespräch oder beim Autofahren. Nach Durchleben einer solchen Schlafattacke fühlen sich Narkoleptiker erholter als davor. Wird diese aber vorzeitig mittels Aufwecken unterbrochen, holen sie dieses Schlafdefizit meist im Rahmen einer erneuten zwanghaften Schlafperiode nach. Wie oft am Tag derartiger unwiderstehlicher Schlaf stattfindet, ist von Narkoleptiker zu Narkoleptiker verschieden.

Führt ein Schlafsüchtiger begonnene Tätigkeiten (z.B. Autofahren) während einer Schlafattacke – also ohne bewusste Steuerung – fort, spricht man von automatischen Handlungen. Das kann ihn in gefährliche Situationen (z.B. vom Weg abkommen beim Fahren, Verletzung beim Hantieren mit einem Messer) bringen, denn dann registriert er seine Umwelt nicht mehr und reagiert auf Außenreize mit Verzögerung. An die Zeit des automatisierten Verhaltens kann er sich meist nicht erinnern.

Das Umfeld zeigt oft wenig Verständnis für die Schlafattacken, verkennt das Gebaren als Trägheit, Unkonzentriertheit, Desinteresse, Simulation oder Alkoholismus, weil Narkoleptiker, werden sie von extremer Schläfrigkeit übermannt, gern schwanken oder torkeln, undeutlich sprechen und einen glasigen Blick bekommen. In der Folge ziehen sich viele Schlummersüchtige zurück und vermeiden Unternehmungen mit anderen, bei denen sie einzuschlafen drohen.

Kennzeichnend: Kataplexie

Bei vielen Schlafsüchtigen kommt es neben der Tagesschläfrigkeit mehr oder weniger häufig zu plötzlich auftretenden kurzzeitigen Verlusten des Muskeltonus (für die Kontrolle der Körperhaltung notwendige Muskelspannung), die als Kataplexien bezeichnet werden. Meistens im Gesichts- (z.B. verwaschene Sprache, Schielen, herabfallende Kinnlade), Nacken- (z.B. Kopf hängen lassen) oder Kniebereich (”Einknicken”), schlimmstenfalls am ganzen Körper (mit Ausnahme der Schluck-, Atem- und Schließmuskeln von Darm und Blase), sodass sie – auf Außenstehende oft sehr dramatisch wirkend – zusammensacken oder stürzen. Währenddessen sind sie bei Bewusstsein, können aber nicht mit der Außenwelt kommunizieren. Als Auslöser dieser Zustände, die als sicheres Zeichen für eine bestehende Narkolepsie gelten, fungieren in der Regel starke Emotionen wie Freude, Lachen (“Lachschlag“), Begeisterung, Ärger, Erregung, Scham, Angst oder Überraschung bzw. ebenso Erinnerungen daran, eventuell auch große körperliche Anstrengungen oder starke Konzentration. Deshalb sprechen die Mediziner von einem affektiven Muskeltonusverlust. Um die als unangenehm oder peinlich erlebten Kataplexien zu vermeiden, gehen Narkoleptiker Gefühlssituationen aus dem Weg, die sie auslösen könnten, was zu sozialer Isolation führen kann.

Beängstigend: Schlaflähmungen

Narkoleptiker können auch in Übergangsphasen vom Schlaf- zum Wachzustand und vice versa (“Zustand zwischen Wachsein und Träumen“) plötzliche kurzzeitige Kontrollverluste über ihre Muskeln erleben, sodass sie sich für eine Weile nicht bewegen, nicht sprechen oder die Augen nicht öffnen können, obwohl sie ihre Umgebung wahrnehmen. Das nennt man Schlaflähmungen (Schlafparalysen). Im Gegensatz zu Kataplexien werden sie durch Müdigkeit ausgelöst, nicht durch Emotionen, und können durch Berührungen oder lautes Anreden von Außenstehenden unterbrochen werden. Dieser Zustand muss nicht, kann aber als sehr beängstigend empfunden werden. Vor allem, wenn er – was des Öfteren der Fall ist – gemeinsam mit schlafbezogenen Halluzinationen auftritt, wenn diese z.B. eingebildete Gewalterlebnisse beinhalten.

Oft dabei: abnormer Schlafrhythmus

Bei vielen Schlummersüchtigen schleicht sich im Verlauf der Krankheit ein gestörter, seichter und daher kaum erholsamer Nachtschlaf mit abnormem Rhythmus (z.B. abwechselnd je vier Stunden Schlaf und Wachzustand) ein: Sie liegen lange munter im Bett oder wachen mehrfach auf, auch weil sie jeder noch so geringe äußere Einfluss weckt (z.B. Partner dreht sich im Bett um). Manche verspüren einen Bewegungsdrang, schlafwandeln oder sprechen im Schlaf. Während sich bei Gesunden ca. 90-minütige Schlafphasen einstellen, zeigen Narkoleptiker ein zerrissenes Schlafprofil, bei dem sich über mehrere Nächte hinweg kein einheitliches Muster erkennen lässt und die REM-Phasen (Traumphasen) atypischerweise der traumlosen Schlaf-Phase vorausgehen (Sleep-Onset-REM, SOREM, vorzeitiger Traum-Schlaf). In der Folge erhöht sich die Neigung zu –  teilweise in der nächsten Schlafphase fortgesetzten – Albträumen und kommt es – bedingt durch eine Vermischung von Wach- und Traumvorstellungen u.U. zur Entwicklung von Trugwahrnehmungen beim Einschlafen (hypnagogene Halluzinationen) oder Aufwachen (hypnopompe Halluzinationen).

Ursachen der Narkolepsie

Eine symptomatische bzw. sekundäre Narkolepsie ist Ausdruck einer anderen Grunderkrankung wie etwa einer Hirnschädigung (z.B. Verletzung, Minderdurchblutung oder Tumor des Hypothalamus oder Hirnstamms). An der Entstehung der häufigeren idiopathischen (griech.: idios = selbst, pathos = Leiden; ohne bekannte Ursache) Narkolepsie dürften erblich bedingte (daher: familiäre Häufung der Narkolepsie) Autoimmunprozesse (Immunabwehr richtet sich gegen körpereigene Strukturen) in für den Wach-Schlaf-Rhythmus steuernden Hirnregionen (Hypothalamus, Suprachiasmatischer Nucleus) beteiligt sein, legen Forschungen nahe. Sie führen zu einer Zerstörung von Zellen, die den Botenstoff Hypocretin (Orexin) produzieren, der eine wichtige Rolle bei der Schlaf-Wach-Regulation spielt. Als weitere Auslöser mancher Fälle von Narkolepsie werden Infektionen (z.B. Grippeviren, Streptokokken) sowie die Schweinegrippe-Impfung diskutiert.

Eine Narkolepsie erkennen

Als diagnostische Maßnahmen dienen eine gezielte Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) unter Einbeziehung von Schlaffragebögen und -tagebüchern, neurologischen Tests und Untersuchungen in einem Schlaflabor. Dazu zählen eine Polysomnographie (Erfassung des Schlafprofils, der Hirnkurven, Muskelaktivität, Herzfunktion und Augenbewegungen während des Schlafs und allfälliger Schlafstörungen), ein Multipler-Schlaf-Latenz-Test (prüft Einschlafneigung und SOREM) und der Mehrfach-Wachbleibe-Test. Im Einzelfall kann auch eine Bestimmung des Hypocretin-Spiegels im Liquor (Hirnwasser) oder eine HLA-Typisierung (Test auf genetische Merkmale) sinnvoll sein. Besteht der Verdacht auf eine sekundäre Narkolepsie, werden radiologische Aufnahmen des Gehirns angefertigt.

Eine Narkolepsie behandeln

Der bislang nicht heil-, aber therapiebaren Erkrankung, die die Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit (bis hin zum Behindertenstatus) sehr einschränkt,  begegnet die Medizin einerseits mit Medikamenten, d.h. Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin©) oder Modafinil (Vigil©) zur Eindämmung der Tagesschläfrigkeit sowie Antidepressiva und dem Schlafmittel Natriumoxybat zur Bekämpfung von Kataplexien und Schlaflähmungen. Andererseits helfen nicht-medikamentöse Strategien, den Alltag besser zu bewältigen wie

  • die Einhaltung eines regelmäßigen Schlaf-/Wachrhythmus, d.h. jeden Tag zur gleichen Zeit aufstehen und schlafen gehen.
  • die Beachtung von Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen (z.B. ausgewogene Ernährung, Schlafzimmergestaltung), die einen gesunden Schlaf fördern (Schlafhygiene).
  • eingeplante feste Ruhezeiten, z.B. die Absolvierung von ein bis zwei kurzen Nickerchens tagsüber, wenn das Schlafbedürfnis überhand nimmt.
  • die Vermeidung von Situationen mit erhöhter Verletzungs- oder Unfallgefahr. Das gilt auch für die Berufswahl (keine Schichtarbeit, keine Bedienung schwerer Maschinen), Ausübung von Sportarten und Lenkung von Fahrzeugen.
  • die Informierung der Umgebung über die Narkolepsie, um Missverständnissen und Konflikten vorzubeugen.

 

Weiterführende Links:
Schlaflabore in Österreich
Österreichische Gesellschaft für Schlafmedizin

Links zu unserem Lexikon:
Einschlafstörungen
Durchschlafstörungen
Schlafapnoe

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