Vegane Ernährung in der Schwangerschaft: vertretbar oder gefährlich?
Vegane Ernährung – konsequent auf ausreichenden Nähr- und Vitalstoffgehalt hin überprüft – lässt kaum Mangelerscheinungen aufkommen. Doch gilt das auch während einer Schwangerschaft?
Vegane Ernährung ist in. Gilt als Zeichen für Tierliebe. Und bewusste Lebensführung. Sofern Veganer darauf achten, dass sie alle wichtigen Nährstoffe in ausreichender Menge erhalten, trifft das zu. Entscheidet sich eine Frau aber dafür, auch in der Schwangerschaft vegan zu essen, scheiden sich die Geister über Nutzen und Schaden dieses von tierischen Produkten freien Ernährungsstils.
Divergierende Meinungen
Selbst Experten werden sich nicht einig, geht es um die Frage, ob vegane Ernährung in jedem Lebensalter sinnvoll und gesund ist. So hält etwa die American Dietetic Association (ADA) eine gut geplante vegane und andere vegetarische Ernährungsweisen für alle Phasen des Lebenszyklus, einschließlich Schwangerschaft, Stillzeit, früher und späterer Kindheit sowie der Pubertät für geeignet.
Die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) und ihre deutsche Schwesterngesellschaft (DGE) hingegen sehen eine rein vegane Ernährung in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie im gesamten Kindes- und Jugendalter als nicht imstande an, eine adäquate Nährstoffversorgung und damit die Gesundheit des Nachwuchses zu gewährleisten. Auch nicht bei sorgfältiger Lebensmittelauswahl. Sie wittern die Gefahr ernsthafter gesundheitlicher Risiken, z.B. im Zusammenhang mit der Entwicklung des kindlichen Nervensystems. Dennoch entschließen sich zahlreiche Veganerinnen dazu, ihren Ernährungsstil beizubehalten, werden sie Mutter.
Schwanger und trotzdem vegan: Was ist zu beachten?
Veganerinnen stellen in der Regel ihren täglichen Speiseplan im Hinblick auf den Gehalt an Nähr- und Vitalstoffen (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente) ohnehin sehr bewusst zusammen, um Mangelerscheinungen bei sich selbst zu vermeiden. Schwangere Veganerinnen aber müssen die Beschaffenheit ihrer Kost noch genauer ins Visier nehmen, damit ihre ungeborenen Kinder keinen unwiderruflichen Schaden nehmen. Denn in der Schwangerschaft wächst der Bedarf an Kalorien, vor allem aber der an bestimmten Nährstoffen, die entweder in tierischen Nahrungsmitteln wie Fisch, Fleisch und Milchprodukten reichlicher enthalten sind als in pflanzlichen und/oder sich vom Organismus aus tierischen Quellen besser verwerten lassen als aus Pflanzenkost. Das gilt im Besonderen für Vitamin B 12, aber auch für Kalzium, Eisen, Folsäure, Jod, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren.
Vitamin B12: fast nur tierischen Ursprungs
Der Vitamin-B12-Bedarf steigt zwar während einer Schwangerschaft nur leicht, lässt sich jedoch aus pflanzlichen Quellen kaum decken, sodass zum Verzehr von mit Cobalamin angereicherten Produkten und zur Einnahme von Vitaminpräparaten geraten werden muss. Das Vitamin ist wichtig für die Synthese von Myelin (Isolierhülle der Nerven), die Blutbildung, Zellteilung und das Zellwachstum.
Kalzium: wichtig für die Knochenbildung
Der tägliche Kalziumbedarf von 1000 mg (laut ÖGE = Österreichische Gesellschaft für Ernährung) ist zwar in der Schwangerschaft derselbe wie davor, doch das Mineral verwertet der Körper aus tierischen Lebensmitteln (z.B. Milch, Käse) besser als aus pflanzlichen. Kalzium spielt eine ganz wichtige Rolle beim Knochenaufbau sowie der Übertragung von Nervenimpulsen. Um zu der nötigen Menge an Kalzium zu kommen, sollen daher schwangere Veganerinnen gezielt und in ausreichender Menge kalziumreiches grünes Gemüse (z.B. Brokkoli, Fenchel, Spinat, Mangold, Grünkohl), Hülsenfrüchte, Sesam, Mohn, Mandeln, Haselnüsse, Sonnenblumenkerne, Amaranth, Tofu und Sojabohnen oder auch mit Kalzium angereicherte Produkte (z.B. Zerealien, Säfte, Soja-Drinks) und kalziumhaltiges Mineralwasser auf ihren Speiseplan setzen.
Eisen: essentiell für die Blutbildung
Der Eisenbedarf erhöht sich während der Schwangerschaft von 18 auf 27 mg pro Tag, denn der Mineralstoff unterstützt den Aufbau der Plazenta sowie die Entwicklung und Blutbildung des Fetus. Nun liegt Eisen in pflanzlicher Nahrung in dreiwertiger Form vor und muss erst durch die Magensäure zu zweiwertigem Eisen reduziert werden, damit es der Darm resorbieren kann. Um die Eisenaufnahme aus pflanzlichen Quellen zu verbessern, hilft zwar die gleichzeitige Zufuhr von Vitamin C (“Glas Orangensaft zum Spinat“), das gleichfalls drei- in zweiwertiges Eisen überführt. Doch Pflanzenkost enthält auch Hemmstoffe (z.B. Polyphenole in Tee und Hülsenfrüchten, Phytane in Getreide, Nüssen und Hülsenfrüchten), die die Verfügbarkeit des Eisens herabsetzen, indem sie pflanzliches Eisen im Darm binden, sodass es nicht in die zweiwertige Form umgewandelt und aufgenommen werden kann. In tierischem Eiweiß hingegen dominiert zweiwertiges Eisen. Ihm können die Hemmstoffe nichts anhaben.
Da es für viele – auch nicht schwangere – Frauen ohnehin schwierig ist, die benötigte Eisenmenge allein durch die Nahrung aufzunehmen und der Eisenbedarf für Veganer aufgrund der geringeren Resorption von Eisen aus pflanzlichen Quellen größer ist, empfiehlt sich die zusätzliche Einnahme von Eisenpräparaten. Allerdings nicht gleichzeitig mit Tee, Kaffee oder Kalzium-Ergänzungsmitteln, die die Eisenresorption hemmen. Pflanzliche Eisenquellen sind Vollkornprodukte, angereicherte Getreideprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, grünes Gemüse und Trockenobst.
Folsäure schützt das zentrale Nervensystem
Fehlt es vor und/oder in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft an Folsäure, drohen beim Fetus Neuralrohrdefekte (“offener Rücken“; aus dem Neuralrohr entwickeln sich Gehirn und Rückenmark). Zudem wirkt Folsäure an der Bildung der roten Blutkörperchen mit, ist am Aufbau der Erbmasse (DNS) beteiligt und beeinflusst Wachstumsprozesse. Deshalb ist die explizite Zufuhr des Vitamins für Frauen im gebärfähigen Alter (v.a. bei Kinderwunsch) sowie für Schwangere empfehlenswert. Aus natürlichen Quellen wie grünem Blattgemüse, Vollkornprodukten, Samen und Hülsenfrüchten oder auch aus Vitaminpräparaten.
Jod: essentiell für die Schilddrüse
Seefische und Schalentiere sind die zuverlässigsten Jodlieferanten, aber für Veganer tabu. Stattdessen können aber jodiertes Speise- oder Meersalz, Brot und Backwaren mit Jodsalz sowie der gelegentliche Verzehr von Meeresalgen (z.B. Nori) für eine regelrechte Funktion der Schilddrüse und damit des Energiehaushaltes bei Mutter und Kind sorgen.
Vitamin D stabilisiert die Knochen
Obwohl der Vitamin-D-Bedarf während der Schwangerschaft im Vergleich zu vorher gleich bleibt, empfiehlt sich, mit Vitamin D angereicherte Nahrungsmittel und Vitaminpräparate heranzuziehen, da auch schon bei Mischkost oft ein Mangel an dem überwiegend in tierischen Lebensmitteln zu findenden Stoff besteht.
Essentielle Fettsäuren
Essentielle Fettsäuren wie Omega-3- (Docosahexaensäure = DHA, Eicosapentaensäure = EPA) und Omega-6- Fettsäuren, die aus der Alpha-Linolensäure (ALA) entstehen, sind hauptsächlich in Fischarten wie Lachs, Thunfisch, Makrele und Hering enthalten. Da Veganer keinen Fisch essen, bieten sich als Alternative pflanzliche ALA-Quellen wie Lein-, Raps-, Walnuß- und Distelöl, Nüsse und Samen an. Leinsamen und Leinsamenöl sind am reichsten an Alpha-Linolensäure. Ein halber Teelöffel Leinöl genügt, um den Tagesbedarf an dieser essentiellen Fettsäure zu decken.
Wichtig ist aber nicht nur die mengenmäßig ausreichende Zufuhr von DHA und EPA bzw. ihrer Vorstufe ALA, sondern auch das Verhältnis zwischen Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren, das laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwischen 5:1 bis 10:1 (je niedriger, desto besser) liegen sollte, um eine optimale Umwandlung von ALA in DHA und EPA zu gewährleisten. Omega-6-Fettsäuren sind in Samen, Nüssen, Getreide, Hülsenfrüchten und grünem Blattgemüse, besonders aber in Pflanzenölen (z.B. Mais-, Distelöl-, Sesam-, Sonnenblumenöl) enthalten. Walnuss- und Sojaöl bieten ein sehr gutes Verhältnis der Fettsäuren.
Ernährungswissen: das A & O
Um dem mütterlichen Körper und dem Fetus all diese notwendigen Nährstoffe in entsprechenden Mengen zuzuführen, ist daher eine sehr gezielte Zusammenstellung der Mahlzeiten unumgänglich. Das setzt gute Kenntnisse in puncto Nährstoffgehalt von Lebensmitteln und eine tagtägliche sorgfältige Planung voraus, ohne die eine vegane werdende Mutter und ihr Kind sonst Gefahr laufen, gesundheitliche Nachteile zu erleiden. Es drohen Funktionsstörungen, Wachstumsprobleme oder gar Fehlbildungen beim Nachwuchs.
Unterstützung bei dieser schwierigen Aufgabe bieten eine kompetente Ernährungsberatung und regelmäßige medizinische Überprüfungen der Nährstoffversorgung (z.B. im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen) sowie bei Bedarf die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln.
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Datum: 27. März 2015
Kategorien: Ernährung & Fitness, Frauengesundheit & Schwangerschaft