Frühgeburt: schwieriger Start ins Leben

Verlassen Kinder vorzeitig den Mutterleib, kommen sie “unfertig“ auf die Welt, denn um vollständig auszureifen, brauchen sie alle neun Monate der normalen Schwangerschaftsdauer. Je früher sie geboren werden, desto höher ist ihr Risiko für Organschäden und Entwicklungsrückstände.
Eine Gravidität (Schwangerschaft) dauert normalerweise durchschnittlich 40 Wochen (38 bis 42), obwohl sämtliche Organe bereits in den ersten Schwangerschaftsmonaten angelegt werden. Die restliche Zeit dient dem Wachstum und diversen Reifungsprozessen. Aus verschiedenen Gründen kommt ein Teil der Kinder aber schon vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt. Geschieht das vor dem 260. Tag bzw. Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche, spricht man von einer Frühgeburt.
Wie sich die verkürzte Aufenthaltsdauer im Mutterleib auf den Nachwuchs auswirkt, hängt maßgeblich vom Zeitpunkt der Entbindung ab, da vorzeitig geborene Babys noch nicht vollständig entwickelt sind und besonderer Obhut (z.B. Brutkasten, apparative Überwachung, Sondenernährung) bedürfen. Deshalb wird versucht, eine drohende Frühgeburt möglichst abzuwenden. Denn mit jeder durchlebten Schwangerschaftswoche steigen die Überlebenschancen und sinken die Risiken für Schäden der Frühchen, auch wenn die moderne Medizin es heute schafft, immer jüngere Kinder durchzubringen.
Warum Babys zu früh kommen
Es liegt an mütterlichen oder kindlichen Beschaffenheiten oder auch beidem, dass sich eine Schwangerschaft nicht über die gesamte Normaldauer austragen lässt. Demnach kommen als Ursachen für eine Frühgeburt in Betracht
- allgemeine mütterliche Risikofaktoren wie ihr Alter (unter 18 bzw. über 35 Jahre), Gewicht (Untergewicht, Body-Mass-Index unter 19,8), Ernährungszustand (Fehlernährung), Nikotin-, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, körperliche Belastungen, psychischer Stress, bestehende Krankheiten (z.B. Diabetes, Bluthochdruck, Nierenleiden, Schilddrüsenfunktionsstörungen), Infektionen (v.a. im Genitaltrakt aufsteigende), eine Präeklampsie (schwangerschaftsbedingter Bluthochdruck mit Eiweißausscheidung im Harn), eine vor der aktuellen Schwangerschaft stattgehabte Frühgeburt oder wenn die Schwangere Erstgebärende ist.
- lokale mütterliche Risikofaktoren wie Anomalien der Gebärmutter (z B. eine Scheidewand in der Gebärmutterhöhle), Myome (gutartige Gewächse der Gebärmuttermuskulatur), Blutungen in der Schwangerschaft, Infektionen (z.B. Chlamydien) oder vorausgegangene Operationen am Gebärmutterhals (z.B. Konisation), absolvierte Schwangerschaftsabbrüche, eine Zervixinsuffizienz (unzureichender Verschluss des Gebärmutterhalses/Muttermundes) und vorzeitige Wehen.
- kindliche Risikofaktoren wie eine Mehrlingsschwangerschaft, ein Überschuss an Fruchtwasser (Polyhydramnion), Abweichungen in der Lage oder Funktion der Plazenta, ein vorzeitiger Blasensprung, fetale Fehlbildungen oder genetische Anomalien des Kindes.
Auswirkungen einer zu frühen Geburt
Das Geburtsgewicht Frühgeborener beträgt in der Regel weniger als 2.500 Gramm. Manche Frühchen wiegen nur rund 500 Gramm oder vereinzelt sogar weniger – haben aber dank der in den letzten Jahrzehnten gewonnenen medizinischen Fortschritte trotzdem eine gewisse Überlebenschance, allerdings selten ohne bleibende Schäden.
Ein Großteil der gesundheitlichen Probleme von Frühchen ist darauf zurückzuführen, dass normalerweise im Mutterleib stattfindende Reifungsprozesse noch nicht abgeschlossen sind und sich deshalb einige Organe nicht in der Lage befinden, alle ihre Funktionen in ausreichendem Ausmaß wahrzunehmen. Daher können sich bei Frühgeborenen Symptome zeigen wie
- Gehirnblutungen mit potenzieller Hirnschädigung; Krampfanfälle
- ein Atemnotsyndrom (ANS, RDS = engl.: Respiratory distress syndrome), weil ein Mangel an Surfactant, das die Oberflächenspannung in den Lungenbläschen herabsetzt, besteht.
- Atemaussetzer, weil der Atemreflex infolge Unreife des Atemzentrums im Gehirn noch zu wenig ausgebildet ist
- eine Bronchopulmonale Dysplasie (BPD): chronische Lungenveränderungen durch die Lungenunreife
- eine deutliche Neugeborenengelbsucht aufgrund der unterentwickelten Leberfunktion
- ein erhöhtes Infektionsrisiko, weil es der Immunabwehr noch an Schlagkraft fehlt
- Trink- und Temperaturregulationsstörungen (Folgen: Gedeihstörungen, Hypothermie = Unterkühlung)
- eine nekrotisierende Enterokolitis (NEC): Darmentzündung mit Gewebsuntergang
- ein persistierender Ductus arteriosus Botalli (PDA): Der embryonale Verbindungsgang zwischen den großen Gefäßen verschließt sich nicht wie normal bei Geburt, sodass durch ihn Blut aus der Aorta in die Lungenarterien zurückfließt (Folge: Sauerstoffunterversorgung)
- eine Retinopathia praematurorum (ROP): Netzhautschäden an den Augen
Da Frühgeborene verschiedene Reifungsprozesse erst später durchlaufen, machen sich bei ihnen häufig Entwicklungsdefizite bzw. –verzögerungen (z.B. motorische Störungen) und
Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Aufmerksamkeitsdefizit, Ängste etc.) bemerkbar.
Was hilft gegen Frühgeburtlichkeit?
Ein wichtiges Ziel der medizinischen Betreuung werdender Mütter ist zu erreichen, dass vom errechneten Geburtstermin nicht allzu sehr abgewichen wird, damit die Leibesfrucht keinen Schaden nimmt. Droht eine Frühgeburt (Anzeichen: z.B. vorzeitige Wehen, vorzeitiger Blasensprung, Blutungen), wird daher – abhängig vom Gesundheitszustand von Mutter und Kind – versucht, die Schwangerschaft möglichst zu verlängern. Dazu dienen Maßnahmen wie
- die adäquate Behandlung vorbestehender (z.B. Bluthochdruck, Diabetes) oder erworbener (z.B. Infektionen) mütterlicher Erkrankungen, die eine Frühgeburt begünstigen könnten.
- die körperliche Schonung bis hin zu Bettruhe, vorzeitige Arbeitskarenz, Stressvermeidung
- die engmaschige Überwachung der Schwangeren
- die Gabe von Tokolytika (Wehenhemmer: Beta-Sympathomimetika oder Oxytocin-Antagonisten) und Magnesium bei vorzeitigen Wehen, damit diese zum Stillstand kommen sowie Kortisongabe zur Förderung der kindlichen Lungenreifung
- das Anlegen einer Cerclage (mechanischer Verschluss des Muttermundes mit einer Fadenschlinge) bei einer Zervixinsuffizienz (vorzeitige Öffnung des Muttermundes mit Verkürzung des Gebärmutterhalses), die bei der Geburt wieder gelöst wird.
Manche Gegebenheiten wie z.B. das Vorliegen einer schweren Präeklampsie oder eines vorzeitigen Blasensprungs bei uneröffnetem Muttermund verbieten jedoch eine Fortsetzung der Schwangerschaft.
Ab der 35. Schwangerschaftswoche muss eine sich ankündigende Geburt nicht mehr verhindert werden, da das Kind dann in der Regel weit genug entwickelt ist, um auf die Welt zu kommen. Frühgeburten vor der 32. Schwangerschaftswoche werden zwecks Schonung meist per Kaiserschnitt entbunden
Schwere Belastung
Frühchen sind besonderen Traumen (z.B. die unzeitgemäße Geburt selbst, medizinische Manipulationen) ausgesetzt. Für ihre Eltern bedeuten sie jedoch ebenfalls außergewöhnlichen Stress. Die jähe Beendigung der Schwangerschaft, das Bangen um Gesundheit oder sogar Leben der Kinder, der erst zu erlernende Umgang mit ihnen (z.B. spezielle Handhabungen wie etwa das Absaugen von Verschleimungen aus den Atemwegen) sowie das Management und die Durchführung von – womöglich jahrelang notwendigen – Fördermaßnahmen und anderes mehr fordern die Betreuer der Winzlinge.
Auch der Aufbau einer emotionalen Bindung zu ihnen findet unter erschwerten Bedingungen statt, da sie zunächst im Inkubator (Brutkasten) auf einer Neonatologie (Neugeborenenstation) leben müssen, wo sie von fachkundigem medizinischem Personal überwacht, gepflegt und medizinisch versorgt werden. Dieses leitet die Eltern an im Umgang mit den kleinen Erdenbürgern und der Aufnahme von Körperkontakt (z.B. sog. Känguru-Methode: Kind liegt – nur mit einer Windel oder von einer Decke umhüllt – auf der unbekleideten Brust oder dem Bauch von Mutter oder Vater). Die Entlassung eines Frühchens nach Hause hängt ab von seiner Entwicklung, Fähigkeit selbstständig zu trinken und eventuellen Komplikationen.
Weiter führende Links:
Statistik Austria Frühgeburten
Frühchen
Welt-Frühchen-Tag
Cervix-Insuffizienz (Gebärmutterhalsschwäche)
Link zu unserem Lexikon:
Schwangerschaft
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Datum: 4. April 2014
Kategorien: Frauengesundheit & Schwangerschaft