Vegane Kost: Heilversprechen oder Krankmacher?

Veganer verzichten auf jegliche Nahrungsmittel tierischer Herkunft, nicht nur auf Fleisch. Dieses Leben voller Verbote und Selbstkasteiung soll auch gesundheitliche Vorteile bringen und sogar Zivilisationskrankheiten entgegenwirken. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse hierzu gestalten sich jedoch widersprüchlich.
Vegetarische Kostformen genießen den Ruf, die meisten Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes verhindern bzw. sie auch erfolgreich behandeln zu können. Fleischlos essen scheint da nicht mehr zu genügen, zeigt der ungebrochen anhaltende Trend zum Veganismus, der ohne jegliches tierisches Produkt auskommt. Er wird zwar hauptsächlich aufgrund ethischer und tierschützerischer Motive gewählt, zum Teil aber auch aus gesundheitlichen Gründen.
Der Handel reagiert darauf und füllt die Regale mit Tofu und Sojadrinks. Die Gastronomie zieht nach und setzt vegane Mahlzeiten auf die Speisekarten. Doch wie sehr erfüllt der umweltbewusst und idealistisch angehauchte Verzicht auf Fleisch, Milch, Honig und Co. nun wirklich die Hoffnung auf eine bessere Gesundheit? Oder kann die scheinbar so gesunde Pflanzenkost sogar mehr schaden als nützen?
Ist Veganismus widernatürlich?
Betrachtet man allein die menschliche Anatomie, deutet einiges darauf hin, dass der Mensch als “Allesfresser“ angelegt ist. Denn reine Pflanzenfresser besitzen normalerweise mehrere Mägen bzw. einen längeren Darm, um mehr Energie aus der Pflanzenkost gewinnen zu können. Auch Größe und Energiebedarf des Gehirns sprechen dafür, dass sich der Mensch im Laufe der Evolution den Fleischverzehr angeeignet hat. Zudem verwertet das menschliche Verdauungssystem bestimmte Nährstoffe wie z.B. Kalzium oder Eisen aus tierischen Quellen besser als aus pflanzlichen. Dennoch ist es möglich, auch mit reiner Pflanzenkost zu überleben. Allerdings erfordert vegane Kost in der Regel die Zufuhr von Vitamin B 12, das in Pflanzen kaum vorkommt, oder auch anderer Vitamine und Mineralstoffe per Nahrungsergänzungsmittel.
Zivilisationskrankheiten: ein Tribut an den Fleischkonsum?
Krebs, Diabetes und vor allem potenziell tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den Industrieländern haben anscheinend einen gemeinsamen Nenner: eine an tierischem Eiweiß reiche Ernährung. Diese Botschaft transportierten amerikanische Forscher 2011. Das legt den Schluss nahe, dass vegane Ernährung Krankheiten vorbeugen oder sogar heilen könnte. Nun zeigen mehrere Untersuchungen, dass im Allgemeinen Veganer tatsächlich schlanker sind und niedrigere Blutdruck- und Blutfettwerte aufweisen als Vegetarier oder gar Fleischesser. Die Ursache dafür dürfte in ihrem geringeren Fettkonsum liegen, denn tierische Fette lassen die Cholesterin-Konzentration im Blut steigen. Cholesterin, das sich in den Arterien ablagern und sie verengen (Arteriosklerose) kann.
Dem stehen Untersuchungen des chinesischen Ernährungswissenschaftlers Duo Li entgegen, der zwar einer vegetarischen Kost Schutzeffekte für Herz und Kreislauf zubilligt, nicht jedoch einer veganen, bei der er sogar ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ortet. Aufgrund von zu viel Homocystein (Risikofaktor für Arteriosklerose) und zu wenig gefäßschützendem HDL-Cholesterin im Blut sowie einer stärkeren Neigung zur Ausbildung von Blutgerinnseln. Er rät von einer veganen Ernährung ab – zumindest sofern keine Versorgung mit Eisen, Zink, Vitamin B12 und Omega-3-Fettsäuren per Nahrungsergänzung erfolgt.
Diese Erkenntnisse relativiert wiederum der amerikanische Ernährungswissenschaftler David Jenkins (University of Toronto). Er betont, dass man von auffälligen Laborwerten nicht zwangsläufig auf ein erhöhtes Krankheitsrisiko schließen kann und argumentiert, Veganer bräuchten gar nicht so viel HDL-Cholesterin wie Mischköstler, weil sie auch nicht so viel schädliches LDL-Cholesterin aufweisen, das durch HDL-Cholesterin beseitigt werden müsste.
Zu völlig konträren Schlussfolgerungen in puncto “gesünder durch Pflanzenkost“ kommt eine Studie der Grazer Universität, der zufolge Fleischesser seltener krank sein sollen als Vegetarier. Demnach erleiden Menschen, die Fleisch essen, anscheinend seltener Krebs, Herzinfarkte oder Allergien. Zudem sei die Lebensqualität von Vegetariern niedriger und sie beanspruchten mehr Leistungen des Gesundheitssystems. Allerdings lässt die Studie offen, wie es dabei mit Ursache und Wirkung bestellt ist: Wird der erhobene schlechtere Gesundheitszustand der Vegetarier nun durch ihre Ernährung verursacht oder wurden sie aufgrund ihrer beeinträchtigten Gesundheit (häufiger gefundene Krankheiten: Asthma, Diabetes, Migräne, Osteoporose, Krebs, Herzinfarkt und v.a. Allergien) zu Vegetariern? Es kann also nicht als gesichert gelten, dass der Fleischverzicht unbedingt etwas damit zu tun hat.
Krank durch Nährstoffmangel: Mythos oder Wahrheit?
Wer auf tierische Nahrung verzichtet, läuft Gefahr, nicht genug an bestimmten Nährstoffen wie z.B. Eiweiß, Eisen, Kalzium, Jod und Vitamin B12 zu sich zu nehmen, warnt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Unterstützt von Studien, die nachweisen, dass zwei Drittel der strikten Veganer einen B12-Mangel haben. Dieses Vitamin ist u.a. am Abbau von Homocystein beteiligt, das in zu hoher Konzentration einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Arteriosklerose (Folgen: Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall) darstellt.
Zudem haben Veganer – insbesondere junge Frauen – häufig einen niedrigeren Eisengehalt im Blut als Fleischesser, beweist z.B. die Deutsche Vegan-Studie am Institut für Lebensmittelwissenschaft der Universität Hannover. Denn auch wenn sie in etwa die gleiche Menge an Eisen konsumieren, ist pflanzliches Eisen für den Körper weniger gut verfügbar als tierisches und muss erst umgewandelt werden, bevor es der Organismus aufnehmen und speichern kann. Zudem hemmen in manchen Gemüsearten enthaltene Stoffe (z.B. Oxalsäure in Spinat) die Eisenresorption.
Andere Studien belegen, dass ein Teil der Veganer eine verringerte Knochendichte aufweisen und daher riskieren, eine Osteoporose zu entwickeln. Wohl weil ihnen die wichtigste Kalziumquelle fehlt: Milchprodukte. Gemüse und Obst enthalten zwar auch Kalzium, das aber der Organismus schlechter verwerten kann als tierisches, weil darin enthaltene Substanzen wie Phytin- und Oxalsäure die Aufnahme von Kalzium ins Blut erschweren.
Allerdings zeigen Forschungen des Ernährungswissenschaftlers Ibrahim Elmadfa von der Universität Wien, dass ein Nährstoffmangel bei Veganern nicht automatisch zu Krankheiten führen muss. Offenbar haben Veganer einen geringeren Bedarf an antioxidativen Vitaminen und Mineralien, weil sie einen gesünderen Lebensstil mit mehr Bewegung an der frischen Luft (fördert Vitamin D-Aufbau), geringerem Alkoholkonsum, Rauchverzicht und Meidung von Kalziumräubern wie z.B. Cola-Getränken führen.
Dennoch leiden anscheinend rund zwei Drittel der Veganer an Mangelerscheinungen (v.a. Vitamin B 12, Eisen). Das unterstreicht die Ansicht der Ernährungsexperten, dass zur Einhaltung einer veganen Kost unbedingt ein ausreichendes Ernährungswissen und eine wohlüberlegte Nahrungszusammenstellung sowie gegebenenfalls Nahrungsergänzungsmittel gehören, um keine gesundheitlichen Schäden zu erleiden.
Glücklicher und leistungsfähiger durch vegane Ernährung?
Ein bewussteres Leben, ohne sich an Tierleid schuldig zu machen, voller gesundem Obst und Gemüse – das müsste doch zufrieden und glücklich machen, sollte man meinen. Vermuten doch eingefleischte Tierliebhaber, dass der Stress, den Nutzvieh vor und bei seiner Schlachtung erleidet, sich auf Fleischesser übertragen könnte, weil sich in tierischen Produkten Stresshormone finden. Weit gefehlt, sagen zwei Untersuchungen – die oben erwähnte Grazer Studie und Forschungen der deutschen Universität Hildesheim. Ihre Ergebnisse sprechen dafür, dass Vegetarier deutlich häufiger an Depressionen, Angststörungen, psychosomatischen Beschwerden und Essstörungen leiden. Also eine niedrigere Lebensqualität aufweisen. So manches Mal artet das Bestreben nach tier- und umweltschonender sowie dauernd auf den Nährstoffgehalt hin geprüfter Nahrung auch aus und endet in einer Orthorexie (übertriebenes bis gesundheitsschädliches Streben nach gesunder Ernährung).
Ob und wie sich eine vegane Kost auf die geistige Leistungsfähigkeit auswirkt, ist noch kaum erforscht. Auch hierzu liefern bisherige Untersuchungen widersprüchliche Ergebnisse: So soll der Konsum von Fleisch, fettreichen Milchprodukten und Eiern das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, erhöhen. Ebenso aber gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen einem Vitamin-B12-Mangel, wie ihn viele Veganer aufweisen, und dem Morbus Alzheimer.
Ist vegane Kost wirklich gesünder?
Nicht unbedingt. Denn viele Veganer ernähren sich außer von naturnaher Kost wie biologisch gezogenem Obst, Gemüse und Getreide auch von in Supermärkten angebotenen, als vegan ausgewiesenen Halbfertig- oder Fertiggerichten. Längst nicht alle halten dem Test auf wirklich nur vegane Zutaten stand. Und frei von Zusatzstoffen wie Aromen, Stabilisatoren, Verdickungsmitteln sowie verstecktem Zucker in vielen Variationen sind sie schon gar nicht. Manchmal auch nicht von Schadstoffen wie z.B. Transfetten (z.B. in pflanzlichem Schlagobers). Abgesehen davon behagt es auch nicht jedem, Produkte wie etwa Tintenfischring-Imitate aus z.B. von Bakterien der Spezies Alcaligenes faecalis erzeugtem Curdlan (Mehrfachzucker, der schwere Blähungen und Verdauungsstörungen auslösen kann) zu verzehren.
Weiter führende Links:
American Dietetic Association- Veganismus Gesundheitsstudie
Vitalstofflexikon
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Vegane Ernährung
Homocystein im Blut
Vitamin B12
Kalzium
Eisen
Vitamin D
Omega-3-Fettsäuren
Arteriosklerose
Osteoporose
Eisenmangelanämie
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Datum: 20. März 2015
Kategorien: Ernährung & Fitness