China-Restaurant-Syndrom: Krankheit oder nur Mythos?
Als Vorspeise Frühlingsrolle oder Wan Tan, als Hauptgang Chop-Suey oder Pekingente und zum “Dessert“ Mundtrockenheit, Kopfschmerzen, Herzrasen oder auch noch andere Beschwerden. So unlustig kann ein Besuch im Chinarestaurant enden. Oder auch der Genuss eines Fertiggerichtes. Denn auf die Art reagiert man, wenn man zu viel Glutamat nicht verträgt.
Glutamat ist heute aus der Lebensmittelindustrie kaum noch wegzudenken. Denn als Geschmacksverstärker verleiht die Substanz vielen Speisen eine besondere Note. Doch steht es auch immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Das sogenannte China-Restaurant-Syndrom soll es auslösen, Übergewicht oder auch Parkinson und Alzheimer mitverursachen können. Für all das fehlen aber schlagende Beweise.
Daher stuft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Substanz zwar als nicht schädlich für den menschlichen Organismus ein, doch kann der Geschmacksverstärker bei empfindlichen Menschen möglicherweise Unverträglichkeitsreaktionen auslösen.
Was ist Glutamat?
Glutamat (nicht zu verwechseln mit Gluten!), das Salz der Glutaminsäure (nicht-essentielle Aminosäure), ist eigentlich ein körpereigener Eiweißbaustein, der u.a. als Neurotransmitter (Botenstoff) für die Übertragung von Informationen im Gehirn dient. Ihn nutzen etwa Nervenfasern, die Riech- und Geschmacksempfindungen zum sogenannten Mandelkern (Amygdala) transportieren.
Zudem kommt Glutamat natürlicherweise in vielen Nahrungsmitteln wie z.B. Parmesan, Roquefort-Käse, Lachs, Rindfleisch, ungeschältem Reis, Pilzen, reifen Tomaten und Sojasauce vor. Ja sogar – und das nicht zu knapp – in der Muttermilch. Und zwar gebunden an Eiweißstoffe. Es verleiht den Nahrungsmitteln die Geschmacksnote umami (japan.: umai = wohlschmeckender, fleischiger, herzhafter Geschmack).
Neben dem gebundenen gibt es aber auch ein freies Glutamat. Dieses wirkt als Geschmacksverstärker, indem es den Eigengeschmack von Nahrungsmitteln, den sie bei ihrem Erhitzen oder Gefrieren einbüßen, intensiviert. Was die Lebensmittelindustrie schon jahrzehntelang nutzt, indem sie Glutamat als Nahrungsmittelzusatz bei der Produktion von Fertig- und Tiefkühlgerichten (z.B. Suppen, Soßen), Gewürzmischungen und Knabbereien (z.B. Chips) sowie Süßwaren verwendet. Hierzu wird es aus zuckerhaltigen Substanzen künstlich hergestellt.
In Verbindung mit bestimmten Gerichten entfaltet das weiße, wasserlösliche und kristallartige Pulver ein spezielles Aroma, das u.U. sogar den natürlichen Geschmack eines Nahrungsmittels überlagern kann. Und sorgt dafür, dass man weiterhin nach damit versetzten Produkten lechzt, auch wenn man schon satt ist.
Zudem wird Glutamat besonders häufig in asiatischen Restaurants, aber auch bei Schnellimbissen als Würzmittel eingesetzt.
Entdeckt hat die Substanz vor über 100 Jahren der japanische Chemiker Kikunae Ikeda. Im Seetang, den seine Frau als geheime Zutat der Mahlzeiten verwendete, um ihnen eine besondere Schmackhaftigkeit zu verleihen.
Wie weiß man, wo Glutamat drinnen ist?
Gaststätten und Kantinen unterliegen seit einigen Jahren der Pflicht, auf der Speisekarte zu kennzeichnen, welche Gerichte Glutamat enthalten.
Zudem muss Glutamat nach der Lebensmittel-Kennzeichnungs-Verordnung auf der Zutatenliste als Geschmacksverstärker angegeben werden, wenn es in abgepackten Lebensmitteln vorkommt. Die Substanz verbirgt sich hinter folgenden E-Nummern bzw. Bezeichnungen:
- E 620 (L-Glutaminsäure, Glutamat)
- E 621 (Mononatriumglutamat, Natriumglutamat)
- E 622 (Monokaliumglutamat, Kaliumglutamat)
- E 623 (Kalziumdiglutamat)
- E 624 (Monoammoniumglutamat, Ammoniumglutamat)
- E 625 (Magnesiumdiglutamat, Magnesiumglutamat)
Manchmal werden für schwächer konzentriertes Glutamat auch Begriffe wie Hefeextrakt, Fleischextrakt oder fermentierter Weizen verwendet.
Wie zeigt sich eine Glutamatunverträglichkeit?
Für das “China-Restaurant-Syndrom“ typische Beschwerden sind
- Mundtrockenheit
- Kribbeln und Taubheitsgefühle im Mund oder auch Halsbereich
- allgemeines Unwohlsein
- Juckreiz
- gerötete Hautpartien
- Kopfschmerzen (“Hot dog Kopfschmerz“) bzw. Schläfendruck
- Übelkeit
- Herzklopfen
Möglich sind auch Symptome wie
- Gesichtsmuskelstarre
- Schwindel
- Gliederschmerzen
- Engegefühl im Brustkorb
- Hitzewallungen
- plötzlich auftretende Schwellungen
- Nesselsucht
- Bauchschmerzen
10 bis 30 Minuten nach der Aufnahme glutamathältiger Speisen, manchmal auch erst Stunden später, kommt es zu solchen Reaktionen. Laut Forschungen vor allem dann, wenn innerhalb kurzer Zeit hohe Mengen des Stoffes verzehrt wurden. Sie können schlimmstenfalls ein paar Stunden anhalten.
Ist Glutamat wirklich die Ursache des China-Restaurant-Syndroms?
Während ein Teil der Forscher die oben genannten Beschwerden auf den Konsum von Glutamat zurückführen, zweifeln andere diese These an. Ein wichtiges Argument der Skeptiker: Dann müssten die Symptome bei der Bevölkerung asiatischer Länder auch auftreten. Dem ist aber kaum so. Ein eindeutiger wissenschaftlicher Zusammenhang zwischen den Symptomen und der Aufnahme von Glutamat konnte bisher jedenfalls nicht erbracht werden. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass der Verzehr von Glutamat bei sehr empfindlichen Personen Überreaktionen auslöst.
Umstritten ist auch, wenn tatsächlich Glutamat die Symptome verursacht, ob es sich um eine Unverträglichkeit handelt, die sich erst nach dem Genuss einer gewissen Dosis davon zeigt. Wobei eine Glutamatunverträglichkeit bereits im Kindesalter auftreten, aber sich auch erst später entwickeln können soll. Oder um eine Histaminintoleranz, denn die ruft dieselben Symptome hervor. So steht etwa Glutamat im Verdacht, körpereigenes Histamin aus Mastzellen freisetzen zu können, wodurch es bei empfindlichen Personen zu pseudoallergischen Beschwerden kommt.
Neben Histamin ziehen Forscher auch einen hohen Fett- bzw. Natriumgehalt als mögliche Auslöser der Beschwerden in Betracht. Oder auch eine Wechselwirkung zwischen Histamin, Fett, Natrium und Glutamat.
Ist ärztliche Hilfe notwendig?
Die Symptome fallen zwar individuell unterschiedlich aus, doch wer sich nach dem Genuss von glutamathaltigen Produkten unwohl fühlt, sollte einen Arzt aufsuchen und ihm nebst den Symptomen und etwaigen Vorerkrankungen berichten, welche Lebensmittel er zu sich genommen hat. Der Mediziner kann allerdings eine Glutamatunverträglichkeit nur feststellen, aber nicht direkt behandeln. Es dauert jedoch oft einige Zeit, bis eine Glutamatintoleranz diagnostiziert wird, weil die auftretenden Symptome nicht mit der aufgenommenen Nahrung in Zusammenhang gebracht, sondern anderen Ursachen zugeschrieben werden.
Den Nachweis erbringt der Arzt mittels Provokationstest. Das heißt, er verabreicht dem Patienten Glutamat. Entwickelt dieser daraufhin Beschwerden, liegt eine Unverträglichkeit vor. Auf ähnliche Art lässt sich eine Histaminintoleranz eruieren, doch kann in diesem Fall eine Histaminzufuhr zu gefährlichen Symptomen führen. Als Alternative bietet sich eine Ausschluss- und Provokationsdiät an. Es wird also – soweit möglich – für mehrere Wochen auf histaminhältige Lebensmittel verzichtet. Dann werden sie nach und nach wieder in den Speiseplan aufgenommen, um zu schauen, ob es zu Beschwerden kommt.
Sinnvoll können auch Allergietests sein, um eventuelle Nahrungsmittelallergien als Ursache der Symptome auszuschließen.
Keine Therapie bekannt
Für Histaminintolerante gibt es Medikamente, die – vor einer Mahlzeit eingenommen – das Eintreten von Symptomen hintanhalten. Menschen mit Glutamatunverträglichkeit verfügen bislang hingegen über keine solchen Arzneien. Ihnen hilft nur, selbstständig auszutesten, welches Maß an Glutamat sie vertragen und den Speiseplan dementsprechend anzupassen. Dabei kann ein professioneller Ernährungsberater helfen, eine geeignete und zugleich gesunde Ernährung zu finden.
Generell empfiehlt es sich bei einer Glutamatintoleranz, auf einen niedrigen Konsum von Glutamat und vorsichtshalber auch Histamin zu achten. Das bedeutet im Wesentlichen, Fertiggerichte, chinesische Suppen oder Würzsoßen zu verzichten und stattdessen frische Produkte zu verzehren. Auf jeden Fall aber, die Zutatenlisten von Nahrungsmitteln genau zu studieren.
Unbewiesene Verdachtsmomente
Annahme 1: China-Restaurant-Syndrom: In kontrollierten klinischen Studien konnten bei keiner einzigen Versuchsperson mit einem nach eigenen Angaben vorliegenden China-Restaurant-Syndrom durch eine Blindverkostung von Nahrungsmitteln (teilweise mit, teilweise ohne Glutamat) die entsprechenden Symptome ausgelöst werden. Vielmehr sprechen Forschungen dafür, dass die Beschwerden mit Zutaten asiatischer Gerichte wie Garnelen, Erdnüssen oder Kräutern zusammenhängen.
Annahme 2: Dickmacher: Der Geschmacksverstärker, der die Speichelbildung fördert, also einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, soll Hunger erzeugen. Diese Vermutung legt ein Versuch nahe, bei dem Forscher einer Gruppe von Probanden eine mit mehr oder weniger Glutamat versetzte Rindersuppe auftischte. Dabei bekamen diejenigen Teilnehmer, die eine größere Menge Geschmacksverstärker zu sich genommen hatten, nach dem Essen rascher wieder Hunger. Die anderen blieben satt. Dennoch befindet die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, dass bei einer ausgewogenen Ernährung (normale Mischkost) nichts gegen den Verzehr von Glutamat spricht. Denn die als Würze verwendeten Glutamatsalze entsprechen der natürlichen, freien Glutaminsäure und werden im menschlichen Organismus auf die gleiche Weise aufgenommen und verstoffwechselt.
Annahme 3: Mitverursacher von Alzheimer oder Parkinson: Da Glutamat als Botenstoff im Gehirn eine wichtige Rolle spielt, meinen manche Forscher, Glutamat könne sich – übers Essen zugeführt – auf die Alzheimer-Demenz oder den Morbus Parkinson negativ auswirken. Auch, weil die Konzentration des körpereigenen Glutamats bei diesen Krankheiten verändert ist. Doch bleibt ungeklärt, ob mit der Nahrung aufgenommenes Glutamat überhaupt die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann, d.h. ins Gehirn gelangt. Jedenfalls sind in Asien, wo der Geschmacksverstärker in größeren Mengen genossen wird, keine Häufungen von Alzheimer und Parkinson zu verzeichnen.
Verwandter Ratgeber:
Nahrungsmittelallergie oder –intoleranz: Was macht den Unterschied?
Datum: 13. November 2018
Kategorien: Ernährung & Fitness